Das elektronische Glück
gegrüßt.«
Das Klümpchen liegt neben mir auf dem Stein, die Stimme aber kommt von weit her, als ob sie nur mit größter Mühe eine gewaltige Entfernung überwindet.
»Bist du es, Raurbef?«
»Ich bin es! Ich bin es!« schreie ich, mit meinem ganzen Wesen zu ihr drängend. »Ich bin es!«
Wie ein Echo, kaum hörbar, dringt es aus der Ferne an mein Ohr: »Bist du es, Raurbef? Wo bist du? Bist du weit von mir?«
»Eroja!«
»Raurbef!«
18
Ich eile, meine Arbeit zu beenden, mein Buch über die Dilnea und ihre Bewohner. Ich habe Grund zur Eile. Ich fühle, daß mein Gedächtnis mit jedem Tag mehr nachläßt, kann mich aber nicht dazu entschließen, zu den irdischen Ärzten zu gehen. Und warum nicht? Vielleicht, weil die irdische Medizin gegenüber der unseren um viele Jahrhunderte zurück ist? Nein, nicht nur deshalb. Wie könnte ich mich einem Arzt zeigen? Schon eine erste gründliche Untersuchung würde jeden Arzt erkennen lassen, daß sein Patient kein Mensch ist. Wie könnte ich einem Spezialisten jene Besonderheiten meiner Morphologie und Anatomie verheimlichen, die nur infolge der Kleidung nicht zu bemerken sind? Nein, ich kann mich vor den irdischen Ärzten nicht sehen lassen. Mein Gedächtnis aber läßt nach, mein gigantisches, nicht menschliches Gedächtnis, das Tatsachen aus drei Jahrhunderten aufbewahrt.
Ich versuche, die Theorie Tinejs darzulegen, und fühle meine Ohnmacht. Die Fakten und logischen Schlüsse entschlüpfen mir. Es ist seltsam, ganz deutlich und klar erinnere ich mich an alle Ereignisse aus meiner Kindheit und Jugend, dann aber ertappe ich mich dabei, daß ich mich nicht entsinnen kann, wie ich auf die Erde geraten bin. Wäre mir das vor einem Monat passiert, hätte ich Eroja, das Klümpchen wunderbarer Materie, aus dem Etui genommen und sie gebeten, mir all das, was ich jetzt plötzlich vergessen habe, ins Gedächtnis zurückzurufen. Doch mit dem Klümpchen Materie ist etwas mir Unverständliches geschehen. Die Stimme Erojas kommt von weit her, wie ein Echo, ein Seufzer, ein Anruf, der sich im unermeßlichen Raum verliert. Eroja ist nur noch imstande, wie ein Echo zu antworten und an ihre Existenz zu erinnern, sie kann aber nichts mehr sagen.
Wahrhaftig, wann bin ich eigentlich auf die Erde gekommen? Manchmal scheint es mir, daß es schon sehr lange her sein muß.
Ich schreibe eilig alles auf, was ich über die Dilnea weiß. Doch ich habe wenig Zeit, die Umstände drängen mich, und ich darf nur das Allerwichtigste berichten.
Versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Stellen Sie sich vor, Ihre Tage seien gezählt, und Sie müßten das Allerwichtigste über die Erde solchen Leuten erzählen, die keinerlei Vorstellungen davon haben.
Das wichtigste ist, daß die Bewohner der Dilnea, meine Landsleute und Zeitgenossen, ganz andere Beziehungen zur Zeit haben als die Erdenmenschen.
Die bekannte französische Schriftstellerin Madame de Stael, die zu Beginn des XIX. Jahrhunderts lebte, wurde einmal von einem ihrer Bekannten gefragt, wie sie zur christlichen Idee der Unsterblichkeit stehe, das heißt zum Leben im Jenseits. Madame de Stael lächelte ironisch und antwortete: »Wenn man mir die Garantie gäbe, daß ich im Jenseits Madame de Stael mit all meinen Gewohnheiten, mit meinem Geschmack, meinen Gütern und meinem Ruhm bliebe, würde ich mich vielleicht für diese eigenartige Idee interessieren.«
Aber wer konnte ihr schon so eine Garantie geben? Auf keinen Fall diejenigen, unter denen sie lebte.
Was aber wollte Madame de Stael damit sagen? Daß die Individualität und die christliche Idee der Unsterblichkeit sich miteinander in einem logischen Widerspruch befinden; man kann die persönlichen Eigenschaften nicht bewahren, wenn man in die Unsterblichkeit eintritt.
Doch jetzt geht es nicht um die illusorische christliche Unsterblichkeit, sondern um die wirkliche Unsterblichkeit, die die Wissenschaft uns, den Dilneanern, geschenkt hat.
Es hat den Anschein, daß ich unsterblich bin oder fast unsterblich. Das Alter droht weder mir noch irgendeinem meiner Landsleute. Aber das Gedächtnis? Ist es imstande, tausendjährige Erfahrungen mit sich herumzutragen, das heißt, nicht nur die historischen Erfahrungen vieler Generationen, sondern die individuellen, rein persönlichen Erfahrungen, die Erlebnisse meines eigenen Ichs?
Ich kann diese Fragen nicht beantworten, besonders jetzt nicht, wo mir das Gedächtnis den Dienst zu versagen beginnt.
Ich
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