Das elektronische Glück
habe mich gerade dabei ertappt, daß ich mich nicht mehr erinnern kann, wie in meiner Muttersprache, der Sprache meiner Jugend und Kindheit, das Fürwort »du« lautet. Ich weiß noch, wie die Wörter »wir«, »ich« und »sie« lauten, aber an das Wort »du« kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich gehe von einer Ecke zur andern und strenge mein Gedächtnis an, aber da hat sich eine Erinnerungslücke gebildet.
Wie kommt das? Wie konnte das geschehen? Meine unruhigen Gedanken werden vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Ich gehe an den Apparat, nehme den Hörer ab und sage: »Ja, bitte?«
Eine zärtliche Frauenstimme fragt leise: »Bist du es, Kolja?«
»Ja.«
»Hier spricht Vera. Weshalb kommst du nicht herunter? Ich warte auf dich, wir sind doch verabredet. Komm herunter, Liebster.«
»Sofort! Warte. Ich komme.«
Während der Fahrstuhl mich nach unten fahrt, flüstere ich jene Wörter vor mich hin, an die ich mich erinnere, als fürchte ich, sie morgen vergessen zu haben.
Nun stehe ich im Foyer. Aus Veras großen Augen leuchten Freude und Dankbarkeit.
»Du bist also noch hier?« fragt sie, als ob sie ihren Augen nicht traue.
Wir lassen uns in einer Ecke nieder.
»Kannst du dich erinnern«, fragt sie, »wie wir beide beim Skilaufen meinen Schneesturm geraten sind?«
»Nein, ich kann mich nicht erinnern. Hilf mir…« Und sie erzählt, als wolle sie das Verlorene zurückholen.
Ich höre zu und denke besorgt über mich nach. Sie kann mir all das erzählen, was gar nicht mit mir geschehen ist, sie hält mich ja für einen anderen. Wer aber wird mich daran erinnern, was tatsächlich gewesen ist, wer erinnert mich an die Dilnea, an die wirklichen Tatsachen und Ereignisse, die ich zu vergessen beginne?
Wer?
19
Aus dem Tagebuch des Astrobiologen und Schriftstellers wis senschaftlich-phantastischer Werke Tunjawski
Endlich ist das Rätsel gelöst, das mich, meine Logik und meinen angeborenen gesunken Menschenverstand fast ein Jahr lang gequält hat.
Es gibt Menschen, die der Meinung sind, ein Autor wissenschaftlich-phantastischer Literatur, der frei über seine Phantasie verfüge, sei dem gesunden Menschenverstand und der Logik des tatsächlichen Lebens überhaupt nicht verpflichtet. Sein Spezialfach selbst gäbe ihm gewissermaßen das Recht, beide zu mißachten. Was mich betrifft, so war ich stets ein Anhänger des gesunden Menschenverstandes, ein gehorsamer Diener der Logik. Und deshalb hat mich die Ohnmacht und Unfähigkeit, das Problem zu lösen und mich aus dem Labyrinth zu befreien, in das ich geraten war, viele Tage lang gequält.
Wer ist denn dieser Nikolai Larionow, der mich mit solcher Hartnäckigkeit zu überzeugen suchte, daß er Raurbef sei? Hat er sich selbst dazu ernannt? Ist er ein Verrückter? Oder ein Spaßvogel?
Das Rätsel hat mir bis gestern zu schaffen gemacht, bis ich die gerade erschienene Nummer der Zeitschrift »Wissenschaft und Zukunft« aufschlug. Dort erblickte ich das Bild Nikolai Larionows und machte mich mit seiner mehr als seltsamen Biographie vertraut.
Ja, er ist Nikolai Larionow. Und nur Nikolai Larionow. Aber trotzdem hat er den kosmischen Wanderer Raurbef nicht gespielt, in gewissem Sinne ist er es im Laufe eines Jahres sogar gewesen. In welchem Sinne? Diese Frage ist schwer zu beant worten. In dem langen, von einem Spezialisten für Spezialisten geschriebenen Artikel ist die Rede von einem überaus interessanten, wenngleich nach meinem Dafürhalten anfechtbaren Experiment. In dem Artikel wird auch mein Name, der Name des Autors der Erzählung »Uära«, genannt, in der ich den nichtexistenten Planeten Dilnea und den kosmischen Wanderer Raurbef – natürlich eine frei erfundene Gestalt – beschrieben habe. Der Experimentator und Autor des Artikels hat eine Art Entlehnung vorgenommen. Er hat die Erinnerung an einige Ereignisse aus meiner wissenschaftlich-phantastischen Erzählung in das Bewußtsein eines Menschen namens Nikolai Larionow eingepflanzt. Eingepflanzt? Nein, das ist nicht, das richtige Wort. Er hat sein Bewußtsein durch ein anderes ersetzt, hat ihm ein Leben genommen und ein anderes dafür gegeben.
Eines Tages wurde ein Kranker, der das Gedächtnis verloren hatte, in die Klinik des bekannten Kybernetikers und Neurochirurgen Professor Iwanzew, des Autors des Artikels, eingeliefert. Der Patient hatte in einem chemischen Laboratorium gearbeitet, wo sich infolge eines Unglücksfalles etwas ereignete, was ich mir jetzt
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