Das elektronische Glück
errungenen Freiheit erweckt.
Es ist gar nicht abzusehen, welch enorme Reserven der Organismus noch mobilisieren kann, appelliert man an die höheren Emotionen.«
Wladimir Firsow
Deine Hände sind wie der Wind
Drei Dinge gibt es auf der Welt, die mir
unbegreiflich sind, und ein viertes, das ich
nicht verstehe: der Weg des Adlers am
Himmel, der Schlange auf dem Felsen und
des Schiffes mitten auf dem Meer sowie
der Weg des Mannes zum Herzen einer
Frau.
Alexander Kuprin: Sulamith
»Sweta, ich liebe dich…«
Warnend hebt sich ihre Hand, und die sanften, ein wenig traurigen grauen Augen sehen mich mit leichtem Vorwurf durch die rechteckigen Gläser der modischen Brille an. Sogleich wird mir schwer ums Herz, aber ich schlage die Augen nicht nieder, denn diese Sekunden gehören noch mir, und sie gehen nur zu schnell vorüber.
»Davon möchte ich nichts hören.«
Das schimmernde Prisma des Eingangs läßt das Mädchen eintreten, die gläsernen Facetten vervielfachen sie, und ich sehe zwei, drei, vier Swetlanas als lautlose Schemen entschweben und im fernen Halbdunkel verschwimmen. Jetzt brauche ich nur ein Stück zurückzutreten, unter die Zweige des Baumes, und zu warten, bis die dunkle Fensterreihe durch ein aufflammendes Quadrat unterbrochen wird, hinter dem – wenn ich noch eine Weile stehenbleibe – vielleicht kurz ein undeutlicher Schatten auftaucht.
Jetzt sind meine Sinne geschärft, und jeder Nerv ist gespannt und reguliert. Ich bin gleichsam ein höheres Wesen, allmächtig und allwissend. Meine Augen sind wie Röntgenapparate, die es mir ermöglichen, durch Mauern zu sehen, meine Ohren vernehmen selbst das schläfrige Zwitschern eines Vögelchens, das es sich auf der Spitze des Fernsehturms, dessen abendliche Lichter bereits aufgeflammt sind, zum Schlafen bequem gemacht hat, meine Haut spürt noch immer die Wärme von Swetlanas Händen durch die dicken Stahlbetonwände hindurch. Ich sehe, wie sie den Korridor entlangeilt, wie sich die Türen vor ihr auftun, höre das Klappern ihrer Absätze auf den Fliesen der Werkstatt. Ich beneide jetzt die Fliesen und die Türklinke, die ihre Finger gleich berühren, und das Zeichenpapier, das willfährig vor ihr raschelt. Besonders aber beneide ich die Steine, denen allein jetzt ihre Gedanken gehören.
In der Umgebung des Steingefunkels erinnert mich Swetlana an die kalte Schneekönigin oder Bashows Herrin des Kupferberges. Ich weiß, daß dieser Eindruck ungerecht ist, aber eine tiefe Kränkung erzeugt in mir heimliche Verbitterung, und es tut mir wohl, so zu denken. Denn Swetlana liebt mich nicht, und diese himmelschreiende Ungerechtigkeit schmerzt mich um so mehr, als es in meiner Macht stünde, mit einer einzigen Fingerbewegung alles zu ändern. Doch diese Bewegung zu tun, bringe ich nicht über mich.
Swetlana aber zaubert in ihrem magischen Reich. Ergeben liegen die ovalen Scheiben steinernen Feuers vor ihr in harzduftenden Kästen und warten auf ihre Stunde. Ich sehe, wie Swetlana nach ihrer Gewohnheit leicht die Stirn runzelt und wie ihre Hand unentschlossen über einem Kasten verharrt. Ihr Blick gleitet über die mit Linien bedeckte Wand, längs der Konturen der sich erst andeutenden Lösung, und der Wirbel, der in den Milliarden Zellen ihres Hirns tobt, fügt sich viel leicht schon zu dem einen Bild zusammen, dem es beschieden sein wird, zu einem steinernen Ornament zu erstarren.
Ich weiß, daß Wochen der Mühe vor ihr liegen, daß sich auf den Pfaden der Phantasie noch wiederholt eine vollkommene Lösung finden wird, daß es Verdruß, Enttäuschungen und vielleicht sogar heimliche Tränen geben wird – all das liegt in der Natur der Dinge, damit muß man fertig werden, wenn man auch nur einen Funken Talent besitzt. Aber es ist nicht einfach, und in meiner Macht liegt es, ihr diesen Weg zu erleichtern.
Das vage Wunder des Schaffens ist ebenfalls Gesetzen unterworfen; fünf Jahre Experimente in den Laboratorien unseres Instituts haben uns den Schlüssel zu vielen Geheimnissen des Unbekannten geliefert. Mit Algebra haben wir die Harmonie erforscht, und das Schöne zu beschleunigen liegt jetzt in meiner Macht. Ich vermag Swetlana bei ihrer Suche zu helfen. Es ist eine Wahrheit, so alt wie die Welt: Wenn der Mensch liebt, ist er imstande, Wunder zu vollbringen.
In den Kästen liegen Steine. Ja nicht einmal Steine – Glasstückchen. Seien wir ganz ehrlich: In ihnen steckt nicht mehr Poesie als in Fässern mit Kalk, die zum Tünchen
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