Das elektronische Glück
bereitstehen. Aber in ganz bestimmter Anordnung ausgelegt, lassen sie den Herzschlag stocken. Das Chaos wird zu einem Kunstwerk.
In der Sprache der Wissenschaft heißt dieser Vorgang ganz nüchtern »Verringerung der Entropie«. Er kann mit einer Genauigkeit von Tausendsteln eines Bit berechnet werden. Aber ein Wunder zu klassifizieren kommt mir wie ein Frevel vor. Ich will nur eines: daß es geschieht! Und in meiner Macht liegt es, dazu beizutragen.
Ich fahre mit der Hand in die Tasche und berühre den kalten Knopf des Apparats, kann mich jedoch wiederum nicht entschließen, ihn zu drücken. Da kehre ich den dunklen, von einem hellen Quadrat unterbrochenen Fensterreihen den Rükken und gehe davon, ohne mich noch einmal umzusehen.
Wie an jedem Abend ist es im Laboratorium still und dunkel. Die Mäuse und die Frösche rühren sich in ihren Käfigen; matt leuchten die Lämpchen der Apparaturen. Auf dem Schrank, von wo Flötenklänge aus einem Radio ertönen, atmet Fedja, ein melancholischer Krake, und an seinen Fangarmen laufen blaue und grüne Wellen entlang.
Nachdem ich die Frösche mit prächtigen fetten Fliegen gefuttert habe, sehe ich zu, wie sie im Terrarium auseinanderkriechen und wie dabei die Anschlußdrähte der Geber blinken. Allmählich regt sich Groll in mir. Ich spüre, daß ich gehen müßte, aber ich zögere immer noch und starre voller Haß auf meine Lurche. Besonders reizt mich Pyschka, ein träger, dicker Frosch, der vor Fettleibigkeit nicht einmal springen, sondern nur watscheln kann und dabei eine Tüpfelspur im Sand hinterläßt. Ich weiß, ich bin ungerecht ihm gegenüber, aber jetzt möchte ich ihn am liebsten an seinem fetten Bein packen und auf den Fußböden klatschen, nur um nicht seine widerliche glotzäugige und selbstzufriedene Visage sehen zu müssen. Aus unerfindlichen Gründen habe ich das Gefühl, die Frösche, mit denen der große Galvani gearbeitet hat, müßten ganz anders gewesen sein, nämlich noble, bescheidene Geschöpfe, die schicksalsergeben ihr Leben zum Wohle des Menschen hingaben. Leider findet sich bei unserem Pyschka von Noblesse keine Spur.
Ich weiß selber nicht, weshalb ich noch so spät am Abend hierhergekommen bin. Zu tun habe ich hier absolut nichts. Die Berechnungen sind längst abgeschlossen, Kilometer von Emogrammen analysiert, und der Generator ist fertig. Wie immer muß nun der oberste Richter, das Experiment, sein Urteil sprechen.
Dazu kommt es früher oder später immer. Das Experiment am Menschen ist die Krönung des Ganzen. Jedes Mittel gegen die Grippe wie gegen die Beulenpest wird am Menschen ausprobiert. Der Flug eines Raumschiffes ist ein Versuch am Menschen. Das Erlernen der madagassischen Sprache im Schlaf ist ein Versuch am Menschen.
Ich bin weder Arzt noch Kosmonaut noch Pädagoge. Ich bin Physiker. Mein Fachgebiet sind die Felder. Physiker brauchen keine Versuche an sich selbst zu machen.
Ich starre auf die Kassetten mit den Magnetbändern, die Lochkartenstapel, die traurigen Augen der Oszillographen, und allmählich überkommt mich eine schreckliche Schwermut. So ist es immer, wenn ich Swetlana lange nicht gesehen habe. Doch jetzt hat es eine andere Ursache. Ich denke die ganze Zeit nur an das Experiment.
Auf dem Bücherregal neben dem Pult steht mitten unter zerflederten hochfrequenztechnischen Nachschlagewerken das viele Male gelesene Buch »Dramatische Medizin« von Hugo Glaser. Ich nehme es heraus und suche wieder die bekannten Namen.
1802. Der Arzt White injiziert sich den Eiter eines Pestkranken und stirbt. Im Jahre 1817 wiederholt Rosenfeld diesen Versuch und stirbt ebenfalls.
Ein Jahr zuvor hat sich Valli auf Kuba mit Gelbfieber infiziert. Vorher hatte er sich zwei Krankheiten auf einmal eingeimpft, nämlich Pest und Cholera, genas jedoch wieder. Das Gelbfieber aber führt zu seinem Tode.
Ich blättere in diesem Buch der Helden. Was für Menschen! Metschnikow impft sich mit Rückfallfieber, John Hunter und Lindmann infizieren sich mit Syphilis. Bekannte und unbekannte Ärzte suchen an sich selbst Krebs, Poliomyelitis und Ruhr zu erforschen, lassen sich von Giftschlangen und tollwütigen Hunden beißen, schlucken tödliche Posen Gift, leiden wochenlang Hunger und Durst, quälen sich in Thermo- und Druckkammern. Doch dann geraten ihre Schmerzen und ihre Leiden der Menschheit zum Segen.
Ich aber, habe ich das Recht zu dem Experiment?
Es ist gesundheitlich absolut ungefährlich. Ich selbst habe viele
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