Das elektronische Glück
Wesentliche vom Nebensächlichen trennen. Die richtige Lebensstrategie zu wählen gelingt nicht jedem. Mir ist es gelungen. Jetzt steht mir bevor, meine Untergebenen in meine Lebensstrategie einzuordnen. Bei Arsik würde das große Mühe machen.
Arsik hatte nie genaue Pläne betreffs seiner Person. Er beschäftigte sich mit abgelegenen Themen, grub Nebentunnel, schmückte die Wissenschaft mit nutzlosen Verzierungen. Sein letztes Thema lautete: »Untersuchung des Einflusses von Lichtspektren auf Keimfähigkeit und Wachstum von Pflanzen.« Der Chef meinte, das hätte praktische Bedeutung für die Landwirtschaft. Arsik züchtete auf dem Fensterbrett Zwiebeln und bestrahlte sie mit verschiedenfarbigem Licht. Im Frühjahr, der Zeit des Vitaminmangels, haben wir die Zwiebeln gegessen.
Jemand hat Arsik einen Poeten der Physik genannt. Ich hasse schöne Worte! Das ist dasselbe wie ein Physiker der Poesie.
Der Chef mischte sich in Arsiks Arbeit nicht ein. Meiner Meinung nach hatte er ihn abgeschrieben. Arsik zu entlassen war nicht möglich, ihn zu zwingen, sich mit echten Aufgaben zu befassen, ebenfalls nicht. Als sich die Gelegenheit bot, hat ihn der Chef zu mir abgeschoben. Aber bei mir zählt jeder Mitarbeiter. Die Laborantinnen sind nicht zu rechnen, Ignati Semjonowitsch auch nicht, weil er auf die Pensionierung wartet und die ganze Zeit Referateblätter liest. Er meint, Bildung treibe die Wissenschaft voran. Bildung hat er jede Menge, aber keinen Kopf. Die Wissenschaft wird von Köpfen vorangetrieben.
Arsik hat einen Kopf. Das ist das Traurigste.
Ich bin nicht gegen poetische Freiheiten. Manchmal werden Entdeckungen auf Seitenwegen gemacht. Aber wenn es in einem Labor nur zwei Köpfe gibt, dann ist Hobbyforschung ein unerlaubter Luxus.
Als erste Amtshandlung änderte ich deshalb Arsiks Thema und entfernte die Zwiebeln vom Fensterbrett. Arsik nahm das teilnahmslos hin. Wie ich später erfuhr, beschäftigten ihn schon andere Dinge.
Ich schlug Arsik vor, sich mit den Lichtleitern zu befassen. Mir ließ ich die Datenelemente.
»Wohin soll ich das Licht leiten?« fragte Arsik.
»Stell dich nicht dumm«, erwiderte ich. »Das weißt du ganz genau.«
»Gescha, ich liebe dich«, erklärte Arsik. »Du bist jetzt so schmal.«
Die Laborantinnen prusteten los, weil sie das in übertragenem Sinne auffaßten. Aber ich spitzte die Ohren. Ich hatte mich schon daran gewöhnt, Arsik wörtlich zu nehmen. Warum bezeichnete er mich als schmal?
Ein paar Tage später ging ich mit meinem Töchterchen im Park spazieren. Dort gibt es Karussells, Schaukeln und einen Pavillon mit Zerrspiegeln. Meine Tochter zog mich zu den Spiegeln, wo sich einige Leute mit Kindern amüsierten. In dem Pavillon erblickte ich Arsik. Er stand unbeweglich vor einem zylindrischen Spiegel. Dabei schaute er nicht hinein, sondern starrte abwesend über ihn hinweg. Ich trat von hinten heran und betrachtete unsere Spiegelbilder. Wir waren schmal, spitz und lang wie Speere. Arsiks Gesicht war traurig. Vielleicht, weil es so langgezogen war. Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und verließ eilig den Pavillon. Mich hatte er nicht bemerkt.
Neben mir schüttete sich jemand vor Lachen aus. Meine Töchter an der Hand haltend, ging ich von einem Spiegel zum anderen. Lustig fand ich das nicht, Arsik wollte mir nicht aus dem Kopf gehen.
Inzwischen vertiefte sich Arsik in die Arbeit an dem neuen Thema. Jedenfalls schien es mir so, als hätte sein Tun eine Beziehung dazu. Er besorgte sich Lichtleiter und flocht daraus ein Spinngewebe. Außerdem sammelte er Gemäldereproduktionen, mit denen er die Wände des Labors behängte. Arsiks Schönheitssinn war vielseitig: alte Meister, Impressionisten, abstrakte Malerei. Manche Reproduktionen hängte er verkehrt herum oder quer auf. Die Laborantinnen brachten die Bilder in die richtige Lage. Arsik beachtete das nicht.
Gegen Kunst am Arbeitsplatz hatte ich nichts einzuwenden.
Arsik baute eine Tafel, die dicht mit Lichtgebern bestückt war. Von der anderen Seite der Tafel gingen die Lichtleiter ab. Es waren unheimlich viele. Aus ihnen wand Arsik ein dickes Seil, dessen Ende er mit der Anlage verband. Nun saß er tagelang an seiner Anlage, während die Tafel an der Wand über einer Reproduktion hing.
Damit verbrachte er einen Monat. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus.
»Wie sehen deine Ergebnisse aus?« fragte ich ihn.
»Was heißt Ergebnisse?« erwiderte er
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