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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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zerstreut.
     »Resultate, Schlüsse, Daten«, erklärte ich geduldig. »Daten habe ich«, sagte Arsik lächelnd. »Aber ziemlich nutzlose.«
     Ich rief ihm ins Gedächtnis, daß er sich mit Lichtleitern zu beschäftigen hätte. Ihre Kapazität zu erforschen und so weiter.
     Arsik blickte mich an, als würde er sich an etwas erinnern, und dann hob er seinen Zeigefinger und machte damit eine Bewegung vor seiner Nase, als winke er jemanden herbei. Er winkte seinen unmittelbaren Vorgesetzten herbei!
     Im Labor wurde es still. Sogar Ignati Semjonowitsch löste den Blick von seinem Referateblatt und beobachtete gespannt, was weiter geschehen würde. Ich erhob mich und ging ohne Eile zu Arsik. Dabei tat ich so, als wäre nichts Besonderes vorgefallen. Aber innerlich kochte ich vor Wut.
     »Sieh mal hier 'rein«, sagte Arsik und deutete auf die Okulare seiner Anlage.
     Ich blickte hinein und sah ein schönes Bild. Über einer grünen Wiese schwebte ein nackter Junge. Im Hintergrund erhob sich ein gotisches Schloß. Die Farben des Bildes waren von erstaunlicher Klarheit.
     »Na und?« fragte ich, als ich aufschaute.
     »Schön, nicht wahr?« sagte Arsik verträumt. »Besonders die Äpfel.«
     Ich hatte keine Äpfel bemerkt, prüfte das jedoch nicht nach. Gemächlich kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück und versuchte mit meinen Berechnungen fortzufahren. Aber das Intermezzo hatte den Gang meiner Gedanken gestört. Arsik ergötzte sich immer noch an dem Bild, und der Leitungsstrang zog sich durch den ganzen Raum zu der Tafel mit den Lichtgebern. Die Tafel hing an der Wand und verdeckte eine Reproduktion.
     Als alle zum Mittagessen gegangen waren, trat ich zur Wand und hob die Tafel hoch. Darunter war ein abstraktes Bild. Fließende Linien, Punkte, Striche, etwas Amöbenartiges. Unter der Reproduktion stand handgeschrieben: »Paul Klee«.
     Ich blickte in die Okulare, aber Arsik hatte die Anlage abgeschaltet, bevor er zum Essen gegangen war.
     Mehrere Tage dachte ich über das Bild nach, das ich durch die Okulare gesehen hatte. Es ging mir nicht aus dem Sinn. Ein schwebender Junge vor dem Hintergrund eines gotischen Schlosses. Am Sonntag spürte ich das ernste Verlangen, die Ermitage zu besuchen. Sieben Jahre war ich nicht dort gewesen.
     Meiner Frau wollte ich nicht sagen, wohin ich gehe. Das hätte Verwunderung und Verhöre zur Folge gehabt. Ich sagte ihr, daß ich Bewegung brauche, um ein Problem zu überdenken. Solche Spaziergänge war meine Frau gewohnt.
     Am Eingang der Ermitage stand Arsik. Er trat von einem Bein aufs andere und blickte auf die Uhr. Von der Newa her wehte ein kalter Wind. Arsik sah verfroren aus. Er schien schon lange dort zu stehen.
     »Ah, sei gegrüßt!« sagte Arsik. »Ich habe dich längst erwartet.«
     Das war seine Art zu scherzen. Damit überspielte er seine Verwirrung. Offenbar hatte er hier eine Verabredung, die er zu verheimlichen suchte. Arsiks Privatleben war immer in Dunkel gehüllt.
     »Nun, dann gehen wir«, forderte ich ihn auf.
     »Nein, entschuldige, ich warte nicht nur auf dich«, gestand er zögernd.
     Ich ging zum Eingang. Beim Öffnen der Tür wandte ich mich um und sah, daß sich Arsik ohne Eile am Ufer entlang entfernte, die Hände in die Manteltaschen vergraben.
     Ich schlenderte durch die Säle, betrachtete die Rembrandts, die Italiener, begab mich in die zweite Etage. Dort sah ich unvermutet meine Laborantinnen Katja und Schurotschka. Sie standen vor einem Gauguin. Ich ging schnell hinter ihrem Rücken vorbei und stieß im nächsten Saal auf Ignati Semjonowitsch. Er senkte beschämt den Kopf und ließ sich in lange Erklärungen ein, warum er hier sei. Als ob das einer Rechtfertigung bedurfte.
     »Ich komme auch gern hierher«, sagte ich.
     Wir trennten uns. Die Bilder interessierten mich nicht mehr. Ich dachte über das merkwürdige Zusammentreffen nach. Die Wahrscheinlichkeitstheorie ist mir wohlvertraut. Sie schließt so etwas nicht aus, doch es kommt äußerst selten vor. Darin fand ich eine logische Erklärung. Arsiks Reproduktionen hatten das bewirkt. Durch ihre schweigende Anwesenheit an den Wänden hatten sie unser Interesse an der Malerei geweckt. Die Sache hatte allerdings einen Haken. Warum waren wir alle gleichzeitig in die Ermitage gegangen? Aber letztlich, warum nicht? Es war ein Sonntag, in der Woche müssen wir arbeiten und haben keine Zeit für Museumsbesuche.
     Am nächsten Tag waren die Reproduktionen von den Wänden verschwunden.

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