Das Elixier der Unsterblichkeit
unerwünscht.
Eines Abends im Wirtshaus machte ein Tuchhändler, der Kontakt zu jüdischen Kollegen hatte, Meester darauf aufmerksam, dass er besser etwas weniger Umgang mit diesem Uriel Spinoza pflegen sollte, sonst könnte es zu einem drastischen Rückgang an Bestellungen und einer reservierteren Haltung seitens seiner Gönner kommen, besonders jener, die gute Verbindungen zu einflussreichen Juden hatten, die den Philosophen für einen Gotteslästerer hielten.
Dieser niederschmetternde Rat hatte indessen keinerlei Auswirkungen auf Meesters Umgang mit Uriel. Seinen Freund nicht mehr zu treffen, nur weil dieser angeblich umstürzlerische Ideen verbreitete, wäre Meester nie eingefallen, und er lauschte den Gedanken des Philosophen mit umso größerem Interesse.
Also klopfte Uriel an diesem heißen Augustvormittag frenetisch an die Tür des Hauses Nummer 4 in der Jodenbreestraat. Er wollte von dem Schrecklichen erzählen, das ihm widerfahren war, und er wusste, dass es in Amsterdam nur einen Menschen gab, der bereit war, ihm zuzuhören, und dem er sich anvertrauen konnte.
Meesters Dienstmagd Sjoukje – eine füllige junge Frau mit feinen Gesichtszügen, die dem Hausherrn erlaubte, mit ihr zu schlafen, um seinen Zorn zu dämpfen, wenn er wieder einmal entdeckt hatte, dass sie aus der Haushaltskasse stahl – öffnete die Tür. Bedrückt erklärte sie, Meester könne keinen Besuch empfangen. »Sie müssen an einem anderen Tag wiederkommen.«
Uriel sah sogleich, dass Sjoukje rot verweinte Augen hatte.
»Es ist ungeheuer wichtig für mich, Meester zu treffen«, sagte er und wandte den Blick ab, damit die Magd nicht merkte, wie verzweifelt er war.
Die Worte blieben ihr beinahe im Halse stecken, als sie erklärte, Meester habe früh am Morgen aus Leiden die Nachricht erhalten, dass seine Mutter gestorben sei. Mit verzerrtem Gesicht fügte sie hinzu: »Und heute Nacht haben Meester und seine Frau ihre neugeborene Tochter verloren. Das Mädchen hat Blut gehustet und den Geist aufgegeben. Es ist das zweite Kind in zwei Jahren, das in diesem Haus gestorben ist.«
Uriel stand wie gelähmt vor ihr und starrte sie an. Obwohl er aufgrund seiner philosophischen Arbeiten mit dem Tod versöhnt war und ihn akzeptiert hatte, konnte er nicht begreifen, warum er einen unschuldigen Säugling aus dem Leben riss. Er sah den Tod des kleinen Mädchens als eine launische Ungerechtigkeit an, und er fühlte sich, als würde ihm ein Stück des Herzens aus der Brust gerissen, wusste er doch, wie viel das Neugeborene Meester bedeutet hatte. Sjoukje glaubte, der jüdische Philosoph würde anfangen zu weinen, doch das tat er nicht. Er wanderte langsam weiter.
EIN PORTRÄT ZUR RECHTEN ZEIT
Mein Großonkel nannte uns nie Meesters richtigen Namen. Ich weiß nicht, warum er es nicht tat. Aber er hatte sicher seine Gründe. Er nannte ihn nur Meester, und ich glaubte lange, dass er so hieß.
Mein Zwillingsbruder Sasha und ich bekamen oft eine bestimmte Geschichte über Meester und die Familie Spinoza zu hören. Deshalb hat sie sich mir so stark eingeprägt.
Meester brauchte dringend Geld. Seine Frau Saskia sollte bald das erste Kind zur Welt bringen, und niemand wollte ihm mehr Kredit gewähren. Das palastähnliche Haus in der Jodenbreestraat hatte dreizehntausend Gulden gekostet. In Anbetracht der drückenden Abzahlungskosten hätte er es nie kaufen dürfen. Obwohl er unermüdlich auf der Jagd nach neuen Porträtaufträgen war, blieben die Bestellungen aus, zumal er in dem Ruf stand, die Kunden unverschämt und herablassend zu behandeln. Vergebens hatte er mehrere Werke begonnen, die jetzt unvollendet in seinem Atelier standen, weil kein Geld für Farbe da war, und die Bilder, die er abgeschlossen hatte, fanden keine Käufer.
Am schwersten traf es Meester, dass seine früheren Gönner sich von ihm abgewandt und ihn im Stich gelassen hatten. Wenn es hoch kam, hatten sie ihn freundlich, aber bestimmt aufgefordert, anderswo Unterstützung zu suchen. Bei den meisten stieß er auf Schweigen, Gleichgültigkeit, Kälte.
In dieser angespannten finanziellen Lage forderte auch noch einer von Meesters Gläubigern eine Schuld zurück, von der er geglaubt hatte, sie sei erst zwei Monate später fällig. Dieser Gläubiger – ein herzloser Teufel und unehelicher Sohn des einst so mächtigen Johan van Oldenbarnevelt, dem Politiker, der des Hochverrats angeklagt und geköpft worden war – pflegte seinen Forderungen mit Hilfe einer Bande hartgesottener,
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