Das Elixier der Unsterblichkeit
knüppelbewaffneter Burschen Nachdruck zu verleihen. Obwohl Meester den Mann angefleht hatte, ihm für die Rückzahlung des Kredits eine Woche Aufschub zu gewähren, drohte er damit, dem Meister die Arme zu brechen und die Möbel und Haushaltsutensilien zu konfiszieren, wenn er nicht binnen vierundzwanzig Stunden sein Geld bekäme.
Am nächsten Tag, unerwartet und fast wie in einem Traum, erschien Michael Spinoza in Meesters Atelier, um zu seinem vierzigsten Geburtstag im Oktober 1638 ein Familienporträt in Auftrag zu geben, auf dem er mit seiner Ehefrau und seinen drei Söhnen abgebildet sein sollte.
Gott sei Dank, dachte Meester. Endlich hat das Elend, das mich schon so lange quält, ein Ende. Ihm wurde froh und leicht ums Herz, aber er konnte seine Gefühle verbergen. Geleitet von einem angeborenen Bauerninstinkt, der in früheren Zeiten seine Vorväter dazu gebracht hatte, mit ausdruckslosem Gesicht auf den Märkten Südhollands Vieh zu kaufen und zu verkaufen, sah er unberührt aus, um eine bessere Verhandlungsposition zu bekommen. Er erklärte reserviert und in beinahe düsterem Ton, er sei derzeit stark beschäftigt und die Warteliste sei lang, aber selbst wenn er eine Ausnahme mache, weil es sich um den hochrespektierten Vorsitzenden des jüdischen Rates handle, gebe es eine Bedingung, und zwar eine unverzichtbare, damit er das Familienporträt male: »Sie müssen der Lust widerstehen, bestimmen zu wollen, wie das Bild aussehen soll, und akzeptieren, dass ich als Künstler die Freiheit habe, das Werk zu gestalten. Nur dann kann ich den Auftrag annehmen.«
Der bescheidene Michael Spinoza nickte und sagte: »Ja, natürlich, wie Sie wollen. Sie wissen es ja am besten.«
Da er in der Vorstellung lebte, Meester sei enorm gefragt, und um seiner Dankbarkeit dafür Ausdruck zu geben, dass der große Maler den Auftrag akzeptierte, ließ er den Künstler den Preis selbst festlegen, ohne zu handeln.
»Jede Figur in voller Größe kostet zweihundert«, sagte Meester souverän und rieb sich insgeheim die Hände, denn so viel hatte er noch nie bekommen.
Somit wurde die Gesamtsumme auf tausend Gulden festgelegt. Am folgenden Tag kam man in Michael Spinozas Arbeitszimmer zusammen, um in Anwesenheit von Zeugen die Abmachung zu unterschreiben, und die Hälfte der Summe wurde im voraus bezahlt. Die Arbeitszeit wurde auf drei Monate veranschlagt, da Meester nicht über die Mittel verfügte, Lehrlinge zu beschäftigen, die den Hintergrund und die Gewänder malen konnten.
Die Summe, die Meester jetzt in der Hand hatte, betrug das Fünffache dessen, was ihm zuletzt für ein Bild gezahlt worden war. Äußerst zufrieden ging er sogleich zu seiner Lieblingskneipe. Er berichtete dem Inhaber sofort, dass er gekommen sei, um seine Schulden zu bezahlen, denn das Glück habe sich zu seinen Gunsten gewendet. Dann machte er es sich in einem Sessel bequem, den der nicht minder zufriedene Kneipenwirt ihm herangezogen hatte, und spendierte eine Lokalrunde Branntwein. Jetzt würden neue Aufträge nur so hereinregnen. Hier war Geld zu holen, davon war er überzeugt. Nach ein paar Kräuterschnäpsen sah er deutlich vor sich, dass er weitere lohnende Aufträge von wohlhabenden Kaufleuten in der jüdischen Kolonie an Land ziehen und bald imstande sein würde, alle anstehenden Kosten für das teure Haus zu bezahlen. Er dankte seinem Schöpfer dafür, einen Auftrag für einen Kunden ausführen zu dürfen, der bei den meisten Juden so hoch angesehen war, sodass sie seinem Beispiel folgen würden.
Als Zeichen seiner Wertschätzung sandte Meester Michael Spinoza am nächsten Tag eine Radierung aus Leiden als Geschenk. Sie stellte die Kathedrale der Stadt dar, umgeben von blühenden Linden und weißen Privatpalästen am Rapenburgkanal.
Die Arbeit begann im Vorsommer. Obwohl Meester unter der für die Jahreszeit ungewöhnlichen Hitze litt, ging er mit großer Energie und Schöpferkraft zu Werke. Er arbeitete sorgfältig und machte zahllose Skizzen. In seinem Atelier war es unerhört heiß, und er entledigte sich seiner Kleidung, ohne die Zustimmung des Auftraggebers einzuholen. Er zeichnete mit nacktem Oberkörper weiter, obwohl Frau Spinoza augenscheinlich unangenehm berührt war. Doch er war ganz und gar von sich selbst in Anspruch genommen und beachtete sie nicht. Auf dem Fußboden sammelten sich Stapel von Rötelzeichnungen.
Michael Spinozas Familie verbrachte jeden Tag viele Stunden still und geduldig im Atelier, an dessen Wänden, von
Weitere Kostenlose Bücher