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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Ich habe diesen Raum nicht verlassen, weil ich diese Begegnung als das unausweichliche Ziel meines Lebens gesehen habe.«
DAS GROßE GESCHENK
    Der Besucher sagte lächelnd, der einzige auf der Welt, der ihn verstehen könne, sei Benjamin. Dann verriet er seinen Namen: Salman de Espinosa – auch der Wandernde Jude genannt. Seit über dreihundertfünfzig Jahren narre er den Tod, lange Reisen auf vier Kontinenten hätten ihn sechsunddreißig Sprachen gelehrt, zahlreiche Menschenalter hätten ihm enzyklopädisches Wissen geschenkt, welches er jetzt an Benjamin weitergeben wolle. Der Tod habe ihm alle genommen, die er geliebt habe, weshalb er dessen erbitterter Feind gewesen sei. Doch nunmehr seien sie versöhnt, der Tod und er, und in weniger als zweiundsiebzig Stunden würden sie endlich vereint sein. Er habe berechnet, wie man die Wirkung des Elixiers der Unsterblichkeit aufheben könne.
    Benjamin bat ihn, alles, was er wisse, zu erzählen, denn die Zeit sei knapp.
    Salman erzählte von Baruch, der als junger und unerfahrener Mann Moses begegnet war, einen Auftrag bekommen und sein Vaterhaus verlassen hatte, ein mächtiges Schwert auf dem Schlachtfeld geschwungen hatte und zum Leibarzt des portugiesischen Königs ernannt worden war; er erzählte, dass Baruchs Medizin alte Männer in virile Stiere verwandeln konnte und dass er zum Gedenken an die große Liebe seines Lebens die Pflanze Raimundo gezüchtet hatte.
    Salman erzählte von dem großen Geheimnis, dem Elixier der Unsterblichkeit, das vom Vater auf den Sohn vererbt wurde: von Baruch auf Simon, von Simon auf Amos, von Amos auf Shlomo, von Shlomo auf Israel.
    Salman erzählte von Israel, dem Leibarzt, der zwölf Töchter bekam, bevor sein ersehnter Sohn geboren wurde; der beinahe dreißig Jahre nicht mit seiner ältesten Tochter Leah sprach, weil sie hellseherisch war und einen Schandfleck auf dem Namen der Familie vorhergesagt hatte; der nach dem Tod seines Sohnes eine Geheimschrift entwickelte, um das Geheimnis seinem zweijährigen Enkel weitergeben zu können.
    Salman erzählte von Chaim, dem jungen Arzt in Granada, der infolge einer moralischen Verirrung seinen Herrscher, den ehrfurchtgebietenden Sultan Muhammed II., vergiftete, in der Hoffnung, Leibarzt eines Tyrannen zu werden; dass der neue Sultan ihn brutal hinrichtete und sein Herz den Hunden zum Fraß hinwarf.
    Salman erzählte von seinem Vater, dem Kabbalisten Moishe, der sich nichts aus dem Familienauftrag machte, das große Geheimnis zu hüten, sondern sein Leben der Erforschung der Geheimnisse des Universums und der Deutung des Widerscheins fremder Welten am Himmelsgewölbe widmete; der ein bahnbrechendes Werk über jüdische Mystik hinterlassen hatte.
    Salman erzählte von seinem eigenen Leben als Mann, der weder Jude noch Muslim war; von der Flucht aus Granada nach dem Tod der Eltern; von der Begegnung mit dem Rabbiner Tibbon, dessen Leben er nicht retten konnte; warum er das verbotene Elixier zubereitete und davon kostete; was ihn dazu drängte, unsterblich zu werden; von seiner Ehe und seinem Leben in Sevilla; von den hundert Jahren, in denen er kreuz und quer durch Spanien wanderte; von dem missglückten Mordversuch am Großinquisitor Torquemada; wie er in Sevilla auf den Scheiterhaufen geworfen wurde, aber den Flammen entstieg, ohne dass ein einziges Haar auf seinem Kopf von den Flammen versengt worden wäre.
    Salman erzählte, wie er als der hebräische Dolmetscher von Christoph Kolumbus – in der Nacht des Jahres 1492, in der die Juden aus Spanien vertrieben wurden – mit dem Schiff Santa Maria nach Westen segelte, um ein neues Land zu suchen, in dem Juden leben konnten; von der langen Reise über den Atlantik; von der Landung auf den Westindischen Inseln und der Begegnung mit den Eingeborenen, die fehlerfrei Hebräisch sprachen; von dem Spanier Hernán Cortés, der mit einer Truppe von vierhundert Mann das weitläufige Reich Montezumas eroberte; von der Jagd nach dem Gold Mexikos und dem grausamen Vorgehen der Konquistadoren, neben denen die Männer der Inquisition wie unschuldige Chorknaben gewirkt hätten.
    Salman erzählte von seiner Rastlosigkeit; dass er nie länger als ein paar Monate an einem Ort geblieben sei; dass er als Rabbiner, Handwerker, Lehrer, Leibarzt, Buchdrucker, Künstler und königlicher Ratgeber gearbeitet habe; dass er die schneebedeckten Hochplateaus der Anden bestiegen, die Sandwüsten der Sahara durchquert, zusammen mit heiligen Männern im Ganges gebadet, seine

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