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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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bestand nicht der geringste Zweifel. Er war des Mordes an einem Freiburger Bürger angeklagt, und es war selbstverständlich, dass er gefoltert und gerädert werden würde.
    Der Italiener wurde nackt auf den Boden geworfen und an vier Pfosten gebunden. Der Leiter des Verhörs ging in die Knie und fragte nach seinem Namen. Der Mann verweigerte die Antwort. Da beugte sich der Scharfrichter gelangweilt vor und legte ihm eine glühende Zange auf die Brust. Die Schreie des Italieners waren mehrere hundert Meter weit zu hören.
    Der Leiter des Verhörs fragte erneut nach seinem Namen, erhielt aber keine Antwort. Da holte der Scharfrichter zwei glühende Zangen. Niemandem konnte die wahnsinnige Angst in den Augen des Italieners entgehen. Er wurde erneut mit der Glut behandelt, bis die Stellen an seinem Körper schwarz wurden. Es schien, als hätte er das Bewusstsein verloren. Die Folterkammer stank nach dem verbrannten Fleisch. Der Gehilfe des Scharfrichters goss eimerweise kaltes Wasser auf den Italiener, und dieser kam wieder zu Bewusstsein.
    Der Scharfrichter machte sich bereit, ihn aufs Neue mit den glühenden Zangen zu traktieren. Als der Italiener sah, wie sie sich seinem Brustkorb näherten, übermannte ihn die Angst. Er versuchte, sein Leben zu retten, indem er sprach. Langsam öffnete er den Mund und gestand, ein Meuchelmörder zu sein. Er habe das Leben vieler Menschen auf seinem Gewissen, aber er töte nur im Auftrag anderer, nie aus Vergnügen. Er gestand, aus Versehen den Dekan vergiftet zu haben und Benjamin Spinoza erdolchen zu sollen.
    Der Leiter des Verhörs fragte ihn nach seinem Auftraggeber. Der Italiener erwiderte, er sei nur ein Werkzeug des Schicksals, das weder von Gott noch von Menschen gerichtet werden könne. Der Scharfrichter hob wieder die Zange. Da wurde ein schwaches Flüstern vernehmbar: »Balthasar von Uhrs.«
    Der Leiter des Verhörs gab dem Scharfrichter ein Zeichen, der das Rad nahm und es ein paarmal über den Körper des Italieners rollen ließ. Der Schmerz war so unsäglich, dass der Meuchelmörder meinte, das Gehirn quelle ihm durch die Pupillen heraus. Der Scharfrichter ließ das Rad fallen und zerschmetterte ein Schienbein des Opfers. Der Rücken des Italieners krümmte sich im Krampf und sein Körper hob sich zu einem Bogen. Aber er schrie nicht. Doch aus seiner Kehle drangen Ächzlaute. Der Scharfrichter brach das andere Bein, danach auch die Arme. Schließlich senkte sich das Rad über den Hals des Italieners. Es wurde vollkommen still in der Folterkammer.
    Der Leiter des Verhörs wandte das Gesicht ab. Anscheinend war er an derlei Vergnügen nicht gewöhnt, denn er erbrach sich.
BESCHÜTZUNG UND HIRNGESPINSTE
    Benjamin wurde zum Polizeipräfekten beordert und erfuhr, dass ein italienischer Mörder ihn habe töten sollen, jedoch ergriffen und hingerichtet worden sei. Benjamin erschrak. Er konnte nicht verstehen, warum jemand ihm nach dem Leben trachtete.
    In der Nacht tobte ein Gewitter über Freiburg. Grelle Blitze erleuchteten den Himmel. Benjamin lag schlaflos, von schrecklichen Phantasien heimgesucht. Sobald er die Augen schloss, sah er einen dunkel gekleideten Meuchelmörder durch die Tür hereinkommen. Der Gedanke an den Italiener ließ ihm keine Ruhe.
    Jahre später sollte Benjamin beschreiben, wie er in dieser Nacht zum ersten Mal durch die öde und finstere Landschaft des Wahnsinns wanderte, in der mystischer Nebel sein Gehirn umwölkte, sein Denken verzerrte, ihn in eine Besessenheit trieb und ihn zwang, sich im Teufelskreis seiner Ängste zu drehen.
    Niemand im Lande war mächtiger als der Herzog von Hohenkrampen. Er war ein aufgeklärter absoluter Herrscher, dem es nicht an Kenntnis der Philosophie mangelte. René Descartes war drei Jahre lang sein Hauslehrer gewesen. Der Kurfürst war Benjamin wegen seiner Schriften über Toleranz gewogen, die seinen Intellekt stimulierten und an sein Herz rührten. Der Herzog versprach, Benjamin durch seine eigene Leibgarde zu schützen.
    Doch Benjamins Nerven waren in Unordnung geraten. Für ihn gab es keinen Zweifel: Jemand war darauf aus, ihn zu töten.
    Jede Nacht erwachte er und fühlte, wie ein Messer in seinen Körper eindrang. Lag er auf dem Rücken, traf ihn das Messer in den Bauch oder in den Hals. Lag er auf dem Bauch, traf das Messer des Meuchelmörders ihn im Rücken.
    Auch am Tage verfolgte ihn die Panik, von einem Messer durchbohrt zu werden. Oft fuhr er instinktiv mit der Hand zum Hals, wie um sich zu schützen.

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