Das Elixier der Unsterblichkeit
Landesverräter und seine Mitverschworenen waren. Heindrich war sein Leben lang ruhig und beherrscht gewesen, doch jetzt zitterte er vor Erregung. Er brach in ein Lachen aus, denn alles erschien ihm so einfach, und er dachte, dass er das Ganze unter anderen Umständen als einen schlechten Scherz aufgefasst hätte. Rasch ging er zum Schreibtisch und rief seinen Sekretär herein, der ihn bei seinem Eintreten erwartungsvoll ansah. Aus Heindrichs Blick war abzulesen, dass er mit sich zufrieden war. Er räusperte sich und begann dann einen Haftbefehl zu diktieren. Als er den Namen des Verräters aussprechen wollte, erstarrte sein Gesicht und er verstummte. In diesem Moment hatte Napoleons Kugel ihre lange Wanderung durch Heindrichs Körper beendet und sein Herz erreicht. Der Tod ereilte Prinz Biederstern mitten im Satz.
DIE MESALLIANCE
Warum erzählte mein Großonkel uns Geschichten von Heindrich und den Biedersterns? Was hatten wir mit ihnen zu schaffen?
Unsere Familie, die Spinozas, waren seit eh und je Juden gewesen, vielleicht mehr aufgrund der Umstände als aus Überzeugung, und wir pflegten die alte und lobenswerte Tradition, ständig Gott, der eigentlich mehr an uns glaubte als wir an ihn, unsere Verehrung zu erweisen, indem wir uns täglich mit gekrümmtem Rücken in die für uns heiligen Schriften versenkten. Zu studieren und unablässig Fragen zu stellen war unsere Manie.
Die Biedersterns ihrerseits waren eine vornehme Adelsfamilie, in der jegliche lästige Gedankenarbeit durch Heldenmut ersetzt worden war. Schon Ende des 13. Jahrhunderts weihten sie ihr Schwert der Ehre des habsburgischen Kaisers, und das einzige, was für sie zählte, war das blaue Blut, das in ihren Adern floss. Deshalb verheirateten sie sich im Laufe der Jahrhunderte immer mit ihresgleichen, da vor ihren Augen sonst niemand Gnade fand.
Während wir immer rechtlos gewesen waren, ohne einen Ort auf der Welt, den wir unser Zuhause hätten nennen können, ständig gezwungen zur Flucht über Berge und Meere, nirgendwo sicher außer in der Welt der Bücher, lebten sie unbekümmert auf ihrem herrschaftlichen Schloss, Großgrundbesitzer mit ausgedehnten Jagdrevieren und einer Kirche, die ihnen willig ihre Sünden verzieh, da sie vom Glanz ihres ehrenvollen Namens geschützt wurde.
Nicht nur unser Leben unterschied sich, mit seinen Gewohnheiten, Mythen und Konventionen, sondern auch unsere Mentalität und unsere Einstellung zu anderen Menschen: wie wir uns selbst sahen, was uns Freude machte, was wir erträumten und was wir in unserer Erinnerung bewahrten.
Gab es überhaupt etwas, was den Familien Spinoza und Biederstern gemeinsam war?
An einem sonnigen Herbsttag schlug die Liebe mit gewaltiger Kraft zu und vereinte unsere beiden Familien für alle Zeit. Wir empfanden keine Freude. Die Aristokraten auch nicht. Heindrich hatte das Glück, bereits tot zu sein. Sonst hätte der bloße Gedanke, dass sein altehrwürdiges Blut von einem jüdischen Herzen gepumpt werden könnte, noch dazu im Körper des Nachkommen eines jener Männer, die den französischen König aufs Schafott geschickt hatten, ihn augenblicklich ins Grab befördert.
Die sonderbare Mesalliance zwischen der Mutter und dem Vater meines Großvaters väterlicherseits war der Grund dafür, dass mein Großonkel häufig Anlass fand, über die Prinzen zu Biederstern zu sprechen.
DER ERBE
Drei Tage nachdem Heindrichs Staub der Erde überantwortet worden war, saß Rudolf am Schreibtisch seines Vaters. Er hatte immer gewusst, dass er eines Tages diesen Platz einnehmen würde. Als Erstgeborener und einziger Sohn sollte er das biedersternsche Geschlecht weiterführen. Er war das Oberhaupt der Familie, nur er zählte; seine Schwestern waren ohne Bedeutung.
Rudolf hatte immer geahnt, dass er sich, wenn der Tag kam, unerhört mächtig fühlen würde. Jetzt bebte er angesichts des Gedankens, das Schloss, das Gut und sämtliche damit verbundenen Pflichten übernehmen zu müssen. Er fürchtete, die Leute würden sagen, er könne sich nicht mit seinem vortrefflichen Vater messen. Deshalb beschloss er, immer bestimmt zu sein, nie zu zögern, alles mit strenger Hand zu lenken, damit die Menschen ihm den gebührenden Respekt erwiesen.
Eine halbe Stunde später versammelten sich die Hinterbliebenen im Arbeitszimmer des Vaters zum Familienrat. Rechts von Rudolf saßen seine Mutter und ihr Seelsorger, Bischof Kaulbach, der Ruhe und Vertrauen ausstrahlte. Die Schwestern, Ursula und Mercedes, saßen zu
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