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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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war dem Alkohol verfallen und hat Selbstmord begangen, nachdem er all sein Geld beim Kartenspiel verloren hatte.«
    Der Mann zog ihn wieder am Ohr.
    »Au … Nathan Spinoza«, sagte Moricz ohne zu blinzeln. »So heiße ich, und ich wohne in der Mór Wahrmanns Straße Nummer 8.«
    Hermann Kohn ließ den Jungen seine Taschen leeren, bevor er gehen durfte. Dann schimpfte er das Personal im Lager aus, weil es das Geschäft unbewacht gelassen hatte. Anschließend schrieb er, ohne sich höflicher Ausdrucksformen zu befleißigen, an Herrn Spinoza. Den Brief schickte er durch einen Geschäftsangestellten an die Adresse, die Moricz angegeben hatte.
    Es gab ein Riesenspektakel an jenem Abend in der Familie Spinoza. Das erzählte uns Großvater, während wir alle drei versuchten, Großmutters Suppe zu essen, die ganz gewiss misslungen war. Er fügte hinzu, dass seine Erinnerung an diesen längst vergangenen Abend niemals verblasst sei, denn selten habe er sich so ungerecht behandelt gefühlt. Die Enttäuschung, die er als Zehnjähriger erlebte, sei mit solchem Schmerz verbunden, dass er sogar auf seine alten Tage noch spüre, wie sein Herz schneller schlug, wenn er daran dachte.
    Es ist vielleicht überflüssig zu erwähnen, dass ich zahlreiche Details aus Großvaters Schilderung vergessen habe. Dieses Mittagessen fand schließlich vor über dreißig Jahren statt. Doch ich gebe das wieder, woran ich mich erinnere.
    Nathan – Großvater also – wurde zu seinem gestrengen Vater hineingerufen. Der Junge stand wie vom Donner gerührt, als ihm Hermann Kohns Brief vorgelesen wurde. Dann musste er abwechselnd harte Worte und kräftige Ohrfeigen hinnehmen, obwohl er beteuerte, nie auch nur in der Nähe des Delikatessengeschäftes gewesen zu sein. Er habe den Nachmittag im Hause verbracht, bei einem Freund eine Etage tiefer. Der Vater glaubte ihm nicht. Er war überzeugt, dass der Junge ihn belog. Nathan fiel auf die Knie und bat darum, die Haushälterin Vera zum Nachbarn zu schicken, um zu kontrollieren, ob er lüge. Widerwillig ging der Vater darauf ein. Vera kam mit der Mitteilung zurück, die Mutter des Jungen habe Nathans Alibi bestätigt. Ohne eine Andeutung von Bedauern oder Versöhnlichkeit in der Stimme befahl ihm der Vater, in die Küche zu gehen, Abendbrot zu essen und dann ins Bett zu gehen.
    Ein Vater ist für einen Jungen immer das natürlichste Vorbild und derjenige, der während der Kindheit und Jugend Muster vorgibt. Nathan bewunderte seinen Vater – den Journalisten, den Verteidiger der schuldlosen Verlierer der Gesellschaft, eine Symbolfigur für Gerechtigkeit – und war zutiefst enttäuscht. Er zog sich stumm in sein Zimmer zurück, mit einem so starken Schmerz, dass er glaubte, er werde seine Brust sprengen.
    Moricz wurde zum Verhör zitiert. Es dauerte jedoch eine Weile, bevor die Haushälterin ihn fand, denn er hatte sich unter dem Bett versteckt.
    »Weißt du, warum du hier bist?«, fragte der Vater, als der Junge die Tür des Arbeitszimmers hinter sich geschlossen hatte.
    »Das weiß ich, Vater«, antwortete Moricz resolut, »aber ich habe niemals aus Kohns Delikatessengeschäft gestohlen. Ich schwöre. Ehrenwort.«
    »Moricz, ich habe noch kein einziges Wort über dieses Geschäft gesagt. Was lässt dich glauben, dass ich im Sinn habe, dich für den Diebstahl anzuklagen, der dort begangen wurde?«
    »Meine Intuition, Vater.«
    Nachdem er ein Dutzend Ohrfeigen ausgeteilt hatte, wobei er ironisch Moricz’ Worte »meine Intuition« wiederholte, begann der Vater, den Gürtel loszuschnallen. Der Bedrohung einer ordentlichen Tracht Prügel ausgesetzt, fiel dem Jungen ein zu behaupten, er habe vielleicht am Nachmittag vergessen, in Kohns Delikatessengeschäft für eine Handvoll Türkischen Honig zu bezahlen.
    »Ein Stück Konfekt zu nehmen ist schon Diebstahl, und du hast viele genommen. Es ist furchtbar, dass ich einen Sohn habe, der ein Dieb ist. Noch schlimmer jedoch ist, dass du nicht Manns genug bist, für das einzustehen, was du getan hast. Dass du deinen Bruder beschuldigst. Warum hast du dich Nathan genannt?«, brüllte der Vater.
    »Das ist leicht zu erklären, Vater. Es war nicht, weil ich nicht für etwas einstehen könnte. Ganz im Gegenteil, ich bin stolz auf alles, was ich tue. Aber manchmal fühle ich mich nicht wohl damit, Moricz zu sein. Ich möchte ein anderer sein.«
IN VERSCHIEDENEN ROLLEN
    »Ich möchte ein anderer sein.« Mit diesen Worten begrüßte Andrej Scharf, künstlerischer Leiter des

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