Das Elixier der Unsterblichkeit
Schubladen fand man ein Dokument, in dem Amschel seine Wünsche skizzenhaft formuliert hatte. Man folgte ihnen bis ins letzte Detail. Er bekam einen einfachen Sarg aus dunklem Holz, und nur seine Nächsten begleiteten ihn auf seinem letzten Weg.
DIE VORSTANDSSITZUNG
Ein paar Wochen nachdem Amschels Sarg in die Erde gesenkt worden war, trafen sich seine vier Brüder zu einem Familienrat, um über die Zukunft der Bank zu sprechen. Solche Treffen waren selten, da alle in unterschiedlichen Teilen Europas lebten, wo jeder seinen Teil der Bankgeschäfte repräsentierte. Der Chef der Wiener Abteilung, Salomon, der älteste der Brüder, schlüpfte automatisch in die Rolle des neuen Familienoberhaupts. Man hörte respektvoll und mit großem Interesse zu, als er seine Pläne vorstellte, die zukunftsorientiert und umfassend waren. Es herrschte Einigkeit am Tisch, als er Zweifel daran zum Ausdruck brachte, inwieweit das Papier mit Amschels letztem Willen als juristisches Dokument zu werten sei. Seiner Meinung nach musste es als Testament für ungültig erklärt werden, da bei der Niederschrift kein Notarius Publicus anwesend gewesen sei. Es liege, so Salomon, kein Grund vor, den Wunsch des Verstorbenen zu respektieren, dass Jakob, der ja nicht sein eigenes Fleisch und Blut sei, Amschels Anteil an der Bank erben solle. Noch weniger vorstellbar sei es, dass der junge Mann im Vorstand sitzen solle.
»Wenn irgendetwas, dann bestätigt dies, dass die Gerüchte, die in der Bank kursieren, auf Wahrheit beruhen. Chiara und Jakob haben ausgenutzt, dass Amschel seit längerer Zeit krank war. Loyale Mitarbeiter haben mit Widerwillen beobachtet, wie die beiden systematisch das Vertrauen unseres lieben Bruders missbraucht haben. Einer meiner Vertrauten hat schon in einem frühen Stadium berichtet, dass sie Amschel manipuliert und hintergangen haben. Chiara ist das Hirn hinter dem Ganzen, dieses skandalöse Frauenzimmer, das, solange ich denken kann, auf unsere Kosten gelebt hat. Sie war darauf aus, dass der junge Spinoza den Betrieb übernehmen soll. Doch hat sie in ihrer Naivität Jakobs Begabung überschätzt und unsere Intelligenz unterschätzt. Das rächt sich.«
Salomon erntete nur Zustimmung, als er vorschlug, in die Statuten der Firma einen Zusatz aufzunehmen: Nur Männer, die geborene Rothschilds waren, dürften Aktien der Bank besitzen oder einen Platz im Vorstand einnehmen. Weiterhin unterstrich er, dass die Brüder um jeden Preis einen Machtkampf verhindern sollten, da dies den Interessen aller schaden würde. Es sei wichtig, dass Jakob, obwohl er in mancherlei Hinsicht einen ausgezeichneten Einsatz für die Firma geleistet habe, mit unmittelbarer Wirkung seiner Aufgaben enthoben werde.
»Dies muss taktvoll angegangen werden«, warf Mayer ein, der in Paris lebte. »Ich meine, dass Jakob sich mit seinem Los unzufrieden fühlen und uns Probleme bereiten könnte.«
Salomon ergriff wieder das Wort: »Ich werde das in die Hand nehmen. Ich werde in seinem Namen ein privates Konto bei der Bank eröffnen, mit einem kleineren Betrag als Entschädigung, sodass er wirtschaftlich zurechtkommt, bis er eine andere Anstellung findet. Chiara und er können schließlich nicht damit rechnen, dass wir sie bis in alle Ewigkeit versorgen.«
Die Brüder hielten auch diesen Vorschlag für ausgezeichnet. Der Chef der Londoner Abteilung, Nathan, sagte: »Du hast an alles gedacht, Salomon. Ich bin beeindruckt von deiner Handlungskraft.« Calman, der die Bank in Neapel vertrat, stimmte zu.
»Als Familienoberhaupt ist es meine Pflicht, klar zu denken und rasche Beschlüsse zu fassen«, fuhr Salomon fort. »Ich habe an alles gedacht, doch ich habe es noch nicht geschafft, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Mein Vorschlag ist, dass alles, was Amschel hinterlässt, zu gleichen Teilen unter uns Brüdern aufgeteilt wird. Außerdem wünsche ich, dass das Haus an meinen Sohn Anselm Salomon fällt, der in Berlin lebt. Er wird, gesetzt den Fall, dass keiner von euch Einwände dagegen hat, nach Frankfurt ziehen und hier die Leitung der Bank übernehmen. Das Haus ist geeignet für ihn. Seine Frau Desirée, die sich jetzt auch um ihre Mutter, die bezaubernde Witwe von Wiedersack kümmert, und die Kinder werden sich dort wohl fühlen.«
Salomon wagte es nicht, Chiara von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Er schickte den Advokaten der Bank, und was dieser zu berichten hatte, machte sie äußerst beklommen. Über vierzig Jahre lang hatte sie mit Amschel
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