Das Elixier der Unsterblichkeit
nicht ihre einfache Lebensführung, ihr Unwissen von der Welt, ihre primitiven Vorstellungen und Riten mehr als genug Beweis dafür? Er und von Trotha knüpften starke Bande, während sie an langen Abenden am Lagerfeuer saßen und einander Geschichten erzählten. Nach ihrer Rückkehr aus Ostafrika stellte der General ihm seine Nichte vor, die er später heiratete.
Andreas begleitete von Trotha auch auf der Reise nach Südwestafrika. Ziel der Expedition war es, den Aufstand des Herero-Volkes gegen die deutsche Kolonialmacht, die die Eingeborenen schlimmer behandelte als ihre Hunde, niederzuschlagen. Seine Frau winkte ihm zum Abschied im Hamburger Hafen. Sie hatte die böse Ahnung, dass er nicht nach Hause zurückkehren würde. Erst als das Schiff außer Sichtweite war, begann sie zu weinen. Die Deutschen waren voller Arroganz und rechneten mit einem Sieg, leicht wie ein Spaziergang. Deshalb verwendete der General keine besondere Sorgfalt darauf, für die Verpflegung der Truppe zu sorgen.
Die Hitze in Südwestafrika war unerträglich. Die Herero-Soldaten leisteten unerwartet Widerstand und nutzten ihre Ortskenntnis erfolgreich aus. Nach drei Monaten in der Wüste gingen Proviant und Wasser der Kolonialherren zur Neige. Mehr Deutsche starben an tropischen Krankheiten und Erschöpfung als an den Kugeln der Aufrührer. Andreas war einer von ihnen. Er war überanstrengt und bekam Fieber, Durchfall und eine Darmblutung. Seine Beine gaben unter ihm nach, er sank zu Boden und konnte sich nicht mehr rühren. Es war klar, dass er in diesem Zustand unmöglich von Trotha und seinen Truppen folgen könnte. Er ahnte, dass er die Omaheke-Wüste niemals wieder verlassen würde. Der General untersuchte ihn, und Andreas wollte ihm sein Herz ausschütten, doch er bekam kein Wort heraus. Von Trotha überlegte, ob er seinem Freund eine Kugel in die Stirn verpassen sollte, um sein Leiden zu verkürzen. Doch er brachte es nicht über sich. Andreas blieb zurück in seinem Zelt, zusammen mit zwei Geliebten aus dem Volk der Nama. In der Nacht schlichen sich die Frauen aus dem Zelt und verschwanden. Allein und verlassen lebte er noch vier Tage.
Trotz großer Verluste weigerte sich der General, mit dem Anführer des Herero-Volkes über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Er wollte in die Geschichte eingehen, indem er das Bild eines Deutschland schuf, das große Teile Afrikas beherrschte. Er war so überzeugt davon, dass diese aufsässigen Schwarzen ausgerottet werden müssten, dass er Massaker an wehrlosen Menschen anordnete: an Alten, Frauen und Kindern. Danach wurden die männlichen Hereros erschossen, ob sie nun Waffen bei sich trugen oder nicht. Die Gewehre, die Andreas konstruiert hatte, wurden von dem vielen Schießen so heiß, dass die deutschen Soldaten sich fast die Finger verbrannten.
Auch das Leben des Nama-Volkes blieb nicht verschont. Der Blutgestank erfüllte ganz Südwestafrika.
Nach der Heimkehr von diesem ersten, doch längst nicht letzten Völkermord im 20. Jahrhundert wurde von Trotha in Berlin wie ein Held gefeiert. Einige Monate später jedoch wurde er, meinem Großonkel zufolge, vor Gericht gestellt und verurteilt. Nicht weil er über achtzig Prozent der Herero-Bevölkerung und fünfzig Prozent des Nama-Volkes ermordet hatte, sondern weil er seine Geliebte in Windhuk misshandelt hatte, eine weiße Frau, Nichte des deutschen Reichskommissars in Südwestafrika.
WIEDER AUF ABWEGEN
Mir fällt plötzlich auf, dass es mir tatsächlich gelungen ist, ein nicht unwesentliches Detail von Nikolaus’ Kauf der Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe zu vergessen. Er konnte die Firma zu einem Preis übernehmen, der zwanzig Prozent unter dem Marktwert lag. Bedingung war, dass im Kaufvertrag eine Klausel eingefügt wurde: Sollte er zum Zeitpunkt seines Ablebens keine leiblichen Erben haben, würden alle Aktien ohne Verluste an die Rothschild Bank zurückfallen. Jedes Mal, wenn seine Frau mit einem Kind niederkam, lachte Nikolaus herzlich und gratulierte sich im Stillen zu seinem Geschäftsgenie. Das Paar hatte vier Jungen und zwei Mädchen. Doch wer zuletzt lachte, war dennoch der Rivale Albert Rothschild, das Oberhaupt der Bankiersfamilie, der Nikolaus nicht leiden konnte. Als die Titanic sank, konnte dieser Geizhals, ohne einen Groschen zu bezahlen, die Credit-Anstalt übernehmen.
Ich zögere ein wenig, hier auszusprechen, dass der Verlust von Nikolaus’ Vermögen ein Segen für uns war. Doch es war so. Denn
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