Das Elixier der Unsterblichkeit
Geld ist ein Blendwerk des Teufels. Der plötzliche Reichtum brachte für die Familie Spinoza letztlich nur Enttäuschungen mit sich. Er spaltete die Familie und machte Geschwister zu Feinden – das innerste Wesen der Familie Spinoza war eben doch etwas anderes, als dem Geist des Geldes zu huldigen. Getreu dem Glauben an die Begegnung unseres Ahnen Baruch mit Moses, war unsere Aufgabe auf Erden seit undenklichen Zeiten – auch wenn der Lauf der Welt von unserem Einsatz vollkommen unbeeinflusst zu bleiben schien –, das größte aller Geheimnisse zu hüten: das Elixier, das Unsterblichkeit schenkt.
DAS KURZE GLÜCK
Kehren wir wieder zurück zu Ariadne und Bernhard. Die Liebenden wahrten Abstand zu Bernhards Familie, da sie fürchteten, Jakob würde versuchen, ihrem Glück Hindernisse in den Weg zu legen. Nur selten gab es Kontakte zwischen ihnen und der Familie in Wien, und Bernhard weigerte sich, Hilfe von seinem Vater anzunehmen. Auch auf Jakobs Versuche, ihm begreiflich zu machen, welche Unfreiheit es mit sich brächte, kein Geld zu haben, ging er nicht ein. Die jungen Leute waren stolz auf ihre Unabhängigkeit und sprachen voller Freude darüber, in Budapest zu leben, weit entfernt von den Eltern, die ja doch versucht hätten, sich einzumischen und ihr Leben zu bestimmen. Es fiel ihnen nicht ein, sich über die Armut zu beklagen, die in Ungarn ihr Schicksal war.
Fünf Jahre nach der Ankunft in Budapest hatten sie schon drei Jungen: Moricz, Nathan (der mein Großvater werden sollte) und Kalman. Sie bekamen auch eine Tochter, Hanna, das jüngste Kind. Sie kam durch einen Kaiserschnitt zur Welt, viel zu früh, im siebten Monat, und wog kaum zwei Kilogramm. Ariadne lag auf dem Operationstisch und ihr Leben hing an einem dünnen Faden, denn sie hatte viel Blut verloren, doch ein junger Arzt rettete sie. Die kleine Hanna hatte einen komplizierten Herzfehler, stellte der Oberarzt im Armenkrankenhaus fest, und eine Operation sei notwendig, wenn sie sie nicht verlieren wollten. Er verlangte fünftausend Kronen für sich selbst und deutete an, dass er einen weiteren Arzt und zwei erfahrene Schwestern benötige, und auch diese müssten bezahlt werden. Als der Oberarzt Bernhards bleiches Gesicht sah, fügte er hinzu, dass eine solche Operation in einem privaten Krankenhaus mindestens das Doppelte kosten würde, vielleicht mehr. Das sei der Moment gewesen, sagte Bernhard viele Jahre später, in dem er erkannte habe, was Geld in der Welt bedeute. Er erklärte dem Arzt, dass er nichts habe, womit er bezahlen könne, doch dass das Leben seiner Tochter gerettet werden müsse. Er bat um eine Stundung des Betrags für einige Wochen, bis sein Vater ihm Geld geschickt habe. Er versprach zu bezahlen, und um seine Kreditwürdigkeit zu unterstreichen, erzählte er, dass sein Vater die Rothschild Bank in Wien betreibe und ein reicher Mann sei. Der Oberarzt lächelte skeptisch. Er musste nur einen Blick auf den jungen Mann mit den verschlissenen Hosen und dem ausgefransten Hemdkragen werfen, um einen Beweis für das Gegenteil zu haben. Er erklärte, dass nirgends in Budapest Operationen auf Kredit durchgeführt würden, brachte sein Bedauern zum Ausdruck und verschwand schnell auf dem Korridor. Bernhard wäre fast in Tränen ausgebrochen. Damit niemand es bemerkte, folgte er mit dem Blick den Rissen in der Wand, die sich durch die Feuchtigkeit gebildet hatten.
Zwei Tage später beerdigte er die kleine Hanna.
Ariadne lag noch zehn Tage im Krankenhaus und empfand unerträgliche Trauer. Diese Trauer veränderte sie. Nach ihrer Heimkehr fand sie sich immer schlechter im Alltag zurecht. Sie wurde zänkisch – wohl ein Erbe ihres Vaters – und machte Bernhard ständig Vorwürfe. Sie begann früh am Morgen, bevor er zur Arbeit ging, und fuhr am Abend damit fort, wenn er nach Hause kam. Und das, obwohl Bernhard sich um alles kümmerte. Er kaufte ein und kochte und sorgte dafür, dass es in der Wohnung sauber und ordentlich war, und wenn die Kinder krank waren, war er es, der des Nachts aufstand und sie versorgte. Auf diese Weise nahm er Ariadne einen Teil ihrer Verantwortung für den Haushalt ab. Sie mied die Hausarbeit, nicht nur wegen ihrer angeborenen Blindheit. Sie war träge und hatte keinen ausgeprägten Ordnungssinn. Bernhard ignorierte das alles und behandelte sie liebevoll, auch wenn sie es nicht immer verdiente. Er wusste, dass ihr Alltag – zehn Stunden allein mit drei kleinen Kindern – ganz und gar kein Tanz auf Rosen war.
Weitere Kostenlose Bücher