Das Elixier der Unsterblichkeit
wollte. Seine Freunde lachten ihn aus, wenn er davon erzählte. Das wären nur Hirngespinste, von denen er sich bei seinem Mangel an Realitätssinn mitreißen ließe, versicherten sie ihm, seine Aussichten, fliegen zu können, seien gleich null. Für ihn sei es das Klügste, seine Hoffnung auf Eroberung des Luftraums zu begraben und sich auf eine glänzende Zukunft auf dem Meer einzustellen. Wenn sie ihn wegen seiner unrealistischen Träumereien bedauerten, zog er nur die Augenbrauen hoch wie bei einem schlechten Witz. Sein Schicksal sei mit dem des bewunderten Louis Blériot verbunden, meinte er, das sei so sicher wie der Auf- und Untergang der Sonne. Er hielt eher seine Freunde für bedauernswert, da sie nicht die Begeisterung der Menschen in ganz Europa angesichts der größten Erfindung der modernen Zeit teilten: Dass der Mensch Flügel bekommen hatte, um zu fliegen. Er selbst wolle zu denen gehören, die ihr Leben für etwas, an das sie glaubten, aufs Spiel setzten.
In der italienischen Tageszeitung Fiume della sera las einer von Kalmans Kommilitonen, dass sich am 9. September 1912 zum vierten Mal in Folge Flieger aus ganz Europa auf dem Flugfeld in Montechiari bei Brescia treffen würden, um ihre Flugkünste zu zeigen. Die Hauptattraktion war der Franzose Louis Blériot, der sein dreisitziges Flugzeug mit der Bezeichnung Blériot XII vorführen würde. Die Veranstalter rechneten mit vielen tausend Besuchern, einige sogar aus England und Amerika.
Als Kalman davon erfuhr, beschloss er sogleich, ebenfalls nach Brescia zu fahren, und erklärte, er sei der glücklichste Mann in Fiume. Er versuchte, vier seiner engsten Freunde zu überreden, ihn zu begleiten, indem er ihnen von den gefahrvollen Anfängen der Luftfahrt erzählte, von den Brüdern Wright, Gustave Whitehead, Clément Ader und anderen mutigen Piloten, die darum gekämpft hatten, als erste ein motorgetriebenes Flugzeug zu fliegen. Die Freunde hörten interessiert zu. Sie fürchteten jedoch, die Hotels und die Privatunterkünfte in Brescia würden nicht ausreichen, um alle Besucher zu beherbergen, und die Preise würden ins Unermessliche steigen. Kalman versprach, einen Teil der Aufenthaltskosten in Brescia zu tragen. Aufgrund dieses überzeugenden Arguments erklärten zwei seiner Freunde sich zum Mitfahren bereit. Sie beantragten eine Woche Urlaub von der Seefahrtsakademie. Als dieser nicht bewilligt wurde, sprangen die beiden Freunde ab. Es war eine traurige Überraschung für Kalman, der am nächsten Morgen enttäuscht allein in den Zug stieg.
DIE FLUGSCHAU
Wären die Wege des Schicksals nicht unergründlich, sodass man das Ende nie vorhersehen kann, wäre Kalman mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Ankunft in Brescia umgekehrt, obwohl es schon später Abend war. Er wollte einen Wagen ins Hotel nehmen. Der Kutscher verlangte zwei Lire und wollte im voraus bezahlt werden. Da entdeckte Kalman, dass im Zug offenbar jemand seine Brieftasche und die Fahrscheine aus der Innentasche seiner Jacke entwendet hatte und damit verschwunden war. Doch er zögerte keinen Moment zu bleiben, um Blériot fliegen zu sehen, auch wenn er auf einer Parkbank schlafen und einige Tage ohne Essen auskommen musste.
Er wurde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, die hinter dem Duomo Nuovo herabfielen, wo er die Nacht im Park verbracht hatte. Er merkte sogleich, dass man ihm im Schutz der Dunkelheit seine Tasche mit Kleidung gestohlen hatte, die er als Kopfkissen benutzt hatte. Er wurde wütend. Aber nach einer Weile fasste er sich wieder und beschloss, sich von den Diebstählen nicht die Freude verderben und das große Erlebnis, das ihn erwartete, überschatten zu lassen. Jetzt würde er seinen französischen Helden endlich sehen und vielleicht sogar treffen.
Nach anderthalb Stunden zu Fuß erreichte er die Tore des berühmten Aerodroms. An den Kassen herrschte großes Gedränge. Von dem Anblick, der sich ihm bot, hatte er jahrelang geträumt: Er sah in einiger Entfernung das erste Flugzeug seines Lebens abheben und nach dreißig Metern in der Luft nach rechts zu einem am Rand des Flugfelds liegenden Wäldchen hinüberschwenken. Auf den Rumpf des Flugzeugs waren die Farben der italienischen Flagge gemalt. Kalman fuhr der Gedanke durch den Kopf, dass die roten, weißen und grünen Linien auch die ungarische Fahne darstellen könnten. Er winkte dem Flugzeug frenetisch zu und schrie voller Begeisterung. Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren. Noch nie hatte er eine
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