Das Elixier der Unsterblichkeit
räumte ein, der tragische Vorfall, durch einen ungewöhnlichen mechanischen Defekt verursacht, der weder ihm noch einem seiner Mitarbeiter angelastet werden könne, habe sich zu einem für ihn und für den französischen Staat höchst unglücklichen Zeitpunkt ereignet. Sein Unternehmen Blériot Aéronautique stehe nämlich kurz vor dem Abschluss von Vertragsverhandlungen mit der Armee seines Heimatlandes über den Kauf von nicht weniger als einhundertfünfundzwanzig Flugzeugen dieses Modells. Der tödliche Unfall könne eine Bedrohung dieses Geschäfts darstellen, ja, es vielleicht sogar stoppen und damit den Aufbau der für Frankreichs Verteidigung so wichtigen Luftwaffe wesentlich verzögern. Er blickte Bussoli tief in die Augen und sagte mit gedämpfter Stimme, beinahe flüsternd, in Anbetracht der Tatsache, dass das Opfer ein Ausländer mit unbekannter Identität sei, möglicherweise ein kriminell belastetes Individuum, das sich zwar nichts Ungesetzliches habe zuschulden kommen lassen – wenn man auch aus der Tatsache, dass der junge Mann um die Hangars herumgeschlichen sei, wo er nichts verloren habe, immerhin den Schluss ziehen könne, er habe etwas Zwielichtiges im Schilde geführt –, in Anbetracht all dessen sei es vielleicht das Vernünftigste, statt einer monatelangen ergebnislosen Ermittlung den Fall in aller Diskretion von der Tagesordnung zu nehmen und sämtliche Dokumente auf dem Boden einer Schreibtischschublade des Polizeikommissars verschwinden zu lassen. Es würde der lombardischen Polizei sicherlich die Arbeit erleichtern und ihr die Möglichkeit geben, schwerere Verbrechen aufzuklären, was ohne Zweifel wichtiger sei, als sich mit diesem kleinen Unglück zu beschäftigen, verursacht durch eine Schraube, die sich infolge der Vibrationen des Flugzeugs gelöst habe.
Der Polizeikommissar sah nachdenklich aus. Nach einer kurzen Pause ließ Blériot durchblicken, er sei bereit, Signore Bussoli für sein Entgegenkommen großzügig zu entschädigen. Um die berühmte italienische Gastfreundschaft zu demonstrieren, akzeptierte der Polizeikommissar den Vorschlag des Franzosen und versprach, alle Journalisten, die daran interessiert waren, das Rätsel der Identität des Opfers zu lösen, von ihrem Vorhaben abzubringen. Die Herren schüttelten sich in gegenseitigem Einvernehmen die Hände und begaben sich in eine nahe gelegene Trattoria, um über ein paar Gläschen Grappa die Einzelheiten ihrer Absprache zu diskutieren.
Drei Tage später, als niemand den Toten als vermisst gemeldet hatte, wurde die Leiche in der Nacht zum Cimitero Vantiniano gefahren und in ein anonymes Grab gelegt. Kalman erhielt weder ein Begräbnis noch einen Grabstein.
Die Freunde versammelten sich in ihrer Stammkneipe Feral. Das Gespräch drehte sich um Kalman. Zwei Wochen waren seit seiner Abreise vergangen, und noch hatte keiner etwas von ihm gehört. Das sah Kalman nicht ähnlich. Hatte er vielleicht bei Blériot Arbeit bekommen? Eine Frau getroffen? War krank geworden? Was sollte man tun? Die Lehrer hatten angefangen, nach Kalman zu fragen. Nach einer langen Diskussion und etlichen Flaschen vom örtlichen Riesling beschlossen die Freunde, am nächsten Tag den Rektor davon zu verständigen, dass Kalman nach Brescia gefahren sei.
Mitte Oktober erhielt Bernhard ein offizielles Schreiben mit dem schönen Emblem der Regia Ungarica Accademia Nautica links oben auf dem Umschlag. Nichts Böses ahnend, öffnete er den Brief, und sein Blick blieb sogleich an der Unterschrift des Rektors hängen. Aufmerksam las er die wenigen Zeilen, aus denen hervorging, dass Kalman seit über einem Monat ohne ersichtlichen Grund dem Unterricht ferngeblieben war. Deshalb hatte der Disziplinarausschuss der Seefahrtsakademie gemäß den Statuten der königlichen Institution beschlossen, ihn mit sofortiger Wirkung zu relegieren. Der Beschluss war unwiderruflich.
Der Brief verwunderte Bernhard. Dann erinnerte er sich, dass er seit Anfang September nichts von seinem jüngsten Sohn gehört hatte. Kalman musste etwas zugestoßen sein. Er ahnte Schlimmes und beschloss, nach Fiume zu fahren.
Der Aufenthalt dort wurde kurz; er blieb nur zwei Tage. Weder der Besuch bei Kalmans Vermieterin noch die Begegnung mit dem Rektor der Seefahrtsakademie erbrachten irgendwelche Hinweise auf das, was sein Sohn im letzten Monat unternommen hatte. Desto mehr Informationen erhielt er von Kalmans Freunden. Sie schienen nervös zu sein, einer biss sich auf die Unterlippe, ein
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