Das Elixier der Unsterblichkeit
die Häupter von Königen, Königinnen, Gouverneuren und anderen edlen Männern und Frauen berührt und ihre Körper geheilt. Du trägst an einem großen Erbe, auf deinen Schultern ruht die Verantwortung für den guten Namen der Familie. Du sollst nie etwas tun, ohne deinen Lehrer um Rat zu fragen. Weise ist, wer sich beraten lässt. Du hattest es immer eilig und warst ungeduldig. Du musst lernen, geduldig zu sein, denn Hast legt nur Steine in den Weg des Glücks. Alles, was in der Welt Bestand hat, ist ohne Hast geschaffen worden. Denk daran, dass der Mittelmäßige mit Fleiß mehr erreicht als der Hochbegabte ohne Fleiß. Ansehen gewinnt man um den Preis der Arbeit. Was wenig kostet, ist wenig wert.«
IBN HASSAN UND SEIN SCHÜLER
Chaim war vom ersten Tag an hingerissen von Granada. Mit großen Augen und erhobenem Kopf wanderte er durch die Viertel der Stadt und spürte, wie Granada mit seinem flüchtigen Duft von Jasmin und ätherischen Ölen ihn einladend umfing. Die Stadt war reich an allem, was er liebte: prächtige Gebäude, Gärten, fließendes Wasser, Grün und Vogelsang. Es war ein wahres Paradies aller denkbaren Herrlichkeiten, hier gab es raffiniertere und intensivere Vergnügungsmöglichkeiten, als er in seiner Heimatstadt je kennengelernt hatte, außerdem interessante Menschen von unterschiedlichem Schlag. Er liebte es, wenn die Gassen von den Klängen der andalusischen Malouf-Musik vibrierten, die mit ihrer Wärme und ihren orientalischen Rhythmen den hebräischen Psalmen und Hymnen so ähnlich war. Er dachte an die Gesänge der Gemeinde in seiner Kindheit, an die religiöse Hingabe der Stimmen in der Synagoge, die eine Freudenquelle seines Lebens war. Hier in der offenen Atmosphäre des maurischen Reiches verspürte er zum ersten Mal den Wind der Freiheit.
Chaim war tief beeindruckt von Ibn Hassans bewundernswerter Geschicklichkeit als Arzt und seinem unerschöpflichen Wissen. Er nahm sich vor, seine Ausbildung mit aller Energie zu betreiben, Tag und Nacht zu studieren und alle Seiten des Arztberufs zu erlernen. Er wollte seinem Lehrer und sich selbst beweisen, dass er des Vertrauens würdig war, das der berühmte Leibarzt in seinen Schüler setzte. Er fühlte sich als der glücklichste Mensch auf Erden.
Ibn Hassan schenkte dem neuen Schüler vorbehaltlos seine Gunst. Er war wie ein Vater zu ihm und nahm manche Mühsal auf sich, um seinen Schützling zu fördern.
Obwohl Chaim noch ein junger Lehrling war, unterließ Ibn Hassan es nie, dem Sultan durch beiläufige Bemerkungen zu verstehen zu geben, wie begabt und fleißig sein jüdischer Schüler war. Das Wort des Leibarztes hatte Gewicht bei Hof; wenn er sich äußerte, war es gleichsam so, als hätte der Prophet selbst eine Wahrheit verkündet. Deshalb nahm der mächtige Sultan trotz seiner wichtigen, alles dominierenden Staatsgeschäfte sich gelegentlich die Zeit, spät am Abend Chaim in die Bibliothek zu rufen und sich bei ihm zu erkundigen, ob er sich in Granada wohl fühle und ob er weiterhin die jüdischen Bräuche pflege.
Einige weniger bedeutende Heilerfolge, für die das Verdienst eher Ibn Hassan zukam als ihm und die man vielleicht nicht beachtet hätte, wenn ein anderer sie erreicht hätte, festigten am Hof seine Position als junger Mann mit guten Zukunftsaussichten.
Ein paar Jahre später rettete Chaim dem Lieblingsgeneral des Sultans das Leben, als dieser bei einem Scharmützel mit dem Clan Ashqilula von einem Pfeil getroffen wurde, der durch das linke Auge tief ins Gehirn eindrang. Ibn Hassan meinte, Chaim habe seine Feuerprobe als Arzt bestanden, und ernannte ihn zu seinem Assistenten.
Er sagte: »Von nun an bist du meine rechte Hand, und du wirst vieles lernen, was dir in der Zukunft von großem Nutzen sein wird. Eines Tages wirst du nach Lissabon zurückkehren und selbst Schüler haben. Dann sollst du ihnen das Wichtigste von all dem beibringen, was ich dich gelehrt habe: Als Arzt muss man stets, ungeachtet der Umstände, jedem Kranken uneigennützige Hilfe leisten.«
VERLIEBT
Es war Liebe auf den ersten Blick. Nie hatte Chaim ein schöneres Wesen zu Gesicht bekommen als diese junge Frau. Ihr Name war Rebecca, sie war die Tochter des Rabbis Abraham Orabuena in Córdoba.
Der Rabbi war in die Alhambra eingeladen worden, um ein Jahr lang mit dem weisen und gastfreundlichen Sultan Muhammed II. über religiöse und philosophische Fragen zu diskutieren. Der jüdische Gelehrte kannte sich in Dingen aus, die jenseits des gewöhnlichen
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