Das Elixier der Unsterblichkeit
mir meine Frage, Vater«, sagte Muhammed, der schnell die Geduld verlor und sich schon aufzuregen begann, »aber was ist der Sinn? Ist das eine Art Prüfung?«
»Ich will euer wahres Gesicht sehen«, antwortete der Sultan ruhig und mit der Miene eines Mannes, der sich seiner umfassenden Erfahrung bewusst ist. »Das Essen, das ihr mir zubereitet, wird die Tiefe eurer Seele widerspiegeln. In diesen Mahlzeiten liegt die Zukunft verborgen. Wir gehören Gott an und werden zu ihm zurückkehren. Inshallah. Ich befehle euch, unverzüglich ans Werk zu gehen und diese Aufgabe in Angriff zu nehmen.«
Muhammed war kein Mann, der bereit war, sich mit komplizierten und umständlichen Vorbereitungen abzugeben, egal, worum es ging. Sich einer so uninteressanten Beschäftigung wie der Zubereitung einer Mahlzeit zu widmen fand er sinnlos und unnötig, zumal er die Idee mit den zwei Mahlzeiten albern fand und als Beweis dafür ansah, dass das Alter die Denkfähigkeit des Vaters geschwächt hatte. Seine Zukunft als Herrscher Granadas gab ihm viele angenehme Vorstellungen ein, die ihrerseits seine Lust, sich für den Vater anzustrengen, dämpften.
Als seine Mutter ihn fragte, ob er Hilfe brauche, um dem Begehren des Sultans nachzukommen, reagierte Muhammed mit einer gereizten Geste und antwortete: »Es ist eine Kleinigkeit, zwei Mahlzeiten anzurichten. Ich weiß, was ich mag und was ich nicht mag. Ich brauche deine Hilfe nicht, Mutter. Es wäre einfältig, sein eigenes Licht zu löschen, um mit einem geliehenen Licht zu leuchten.«
Die Fasanenjagd am Fuße der Sierra Nevada war Muhammeds Lieblingsbeschäftigung. Am ersten Abend servierte er einen erlesenen Fasan mit den köstlichsten Gemüsebeilagen. Das Essen wurde von einem Koch zubereitet.
Der Tag des Sultans war ungewöhnlich ruhelos, und er war nicht dazu gekommen, etwas zu essen oder zu trinken, außer einer Tasse Lindenblütentee am Morgen. Mit großem Appetit setzte er sich am Abend an Muhammeds gedeckten Tisch. Als er das Essen sah, verstummte er. Er nahm einen Bissen vom Fasan, hauptsächlich aus Neugier, um zu prüfen, ob Muhammeds Behauptung stimmte, das Fleisch schmecke wie Honig. Er unterließ es, die Mahlzeit zu kommentieren. Schon nach wenigen Minuten entschuldigte er sich, stand vom Tisch auf und verließ den Raum mit schnellen Schritten.
Muhammed blieb zurück, seufzte resigniert und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Das ist also der Dank für die Mühe, die ich mir mit diesem verdammten Essen gemacht habe«, sagte er.
Die Bibliothek war das Heiligtum des Sultans, hier herrschten Schweigen, ein eigentümlicher Geruch und eine sorgsam gemeißelte Feierlichkeit, wie sie nicht einmal der Thronsaal in Granada aufweisen konnte. In den Regalen, die die Wände ausfüllten, standen in alphabetischer Ordnung fünfzigtausend handgeschriebene Manuskripte, in Kalbsleder gebunden und mit den Initialen des Sultans in Goldprägung auf dem Buchrücken versehen. Hier war das gesamte Wissen der muslimischen Welt gesammelt.
Der Sultan zog ein Manuskript aus einem Regal und trat auf den Balkon. Dort blieb er lange stehen und blickte zum Horizont. Die Nacht war warm, und ein apfelsinengelber Mond stieg über die Berggipfel herauf.
Am nächsten Abend servierte Muhammed ihm Speck und Rübenmus. Der Sultan schüttelte den Kopf, schob den Teller von sich, um seiner Verachtung Ausdruck zu verleihen, stand vom Tisch auf und ging in die Bibliothek, ohne sich für die Mahlzeit zu bedanken. Natürlich konnte Muhammed nicht verlangen, dass der Vater sich von diesem Gericht begeistert zeigen würde. Aber er war enttäuscht, auch wenn der Sultan sich nicht kränkend, herabsetzend oder verurteilend geäußert hatte.
Der Sultan bat auch an diesem zweiten Abend seinen Sohn nicht um eine Erklärung, warum er gerade dieses Gericht gewählt hatte, denn ihm war klar, dass Muhammed die beiden Mahlzeiten für den Augenblick zubereitet hatte, ohne viel nachzudenken. Der Sultan stellte fest, dass es nur wenigen Menschen vergönnt war, Phantasie und Gedanken über das Mittelmaß hinaus zu entwickeln. Muhammed gehörte nicht zu diesen wenigen, also hatte er von diesem Sohn nicht viel zu erwarten.
Auch der jüngste Sohn, Nasir, einundzwanzig Jahre alt, hielt das Ansinnen des Vaters für ein wenig absonderlich, nicht weil er die Aufgabe anstrengend fand, sondern vor allem deshalb, weil er noch nie in seinem Leben eine Mahlzeit zubereitet hatte. Weder wusste er, was er ihm anbieten noch wie
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