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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Tancred Hauswolff
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    Alle im Saal klatschten Beifall. Der Jubel kannte keine Grenzen. Die Leute lachten nicht nur, sie weinten vor Verzückung. Am nächsten Tag war Fernando das große Gesprächsthema in Wien, und vor dem Kabarett Steinkeller bildeten sich lange Schlangen.
DER KABARETTIST
    Mein Großonkel nutzte seinen neu gewonnenen Starstatus, um sein Repertoire auszuweiten. Er begann, eigene witzige gesellschaftskritische Monologe vorzutragen. Seine Karriere sollte nur kurz sein, aber die Konsequenzen waren weitreichend.
    In seinem monumentalen Werk
One Hundred Years of European Cabaret
(1982) stellt der belgische Theaterhistoriker Ghislaine Vlaminick fest, dass Fernando das deutschsprachige Kabarett erneuert habe. Sein Ruhm gründete sich auf seine aufmüpfigen und treffsicheren politischen Satiren.
    »Fernando war der zornige Moralist«, schreibt Vlaminick, »der alle Sünder an den Pranger stellte und im Kabarett Steinkeller seine Opfer brutal geißelte. Als Sozialist kritisierte er den Egoismus und die Geldgier der Wohlhabenden. Als Antifreudianer spie er Gift und Galle gegen die Psychoanalyse, deren Anhänger er Psychoanale nannte. Als Pazifist nahm er die Kriegstreiber und den Militarismus aufs Korn. Als Atheist distanzierte er sich gleichermaßen vom Judentum wie vom Katholizismus.
    Vor allem ein Name wurde in seinen Auftritten genannt: Adolf Hitler. Nach der Machtübernahme 1933 kreisten Fernandos Nummern hauptsächlich um ihn. Dass der Nationalsozialismus von Tag zu Tag mehr Zulauf bekam, spornte ihn zu noch größerer Kühnheit und Frechheit an. Als das Trampeln von zehntausenden von Stiefeln im Schein von Fackeln und unter einem Wald von Fahnen bei den berüchtigten Parteitagen Nürnberg erbeben ließ, war Fernando der einzige deutschsprachige Kabarettkünstler, der sich noch immer über den schnauzbärtigen ehemaligen Gefreiten und seine alberne Stirnfranse lustig machte. Er verwandelte Wiens exklusivstes Kabarett in eine Bastion des Antinazismus.«
    Hitlers Berlin warf dunkle Schatten über Wien. David Steinkeller wurde zum Polizeipräfekten einbestellt, der ihm einige »freundschaftliche Ratschläge« gab, »an die sich zu halten vernünftig sein könnte«.
    Fernando einen Maulkorb zu verpassen – allein der Gedanke war grotesk. Steinkeller versuchte, eine Verteidigung für das Prinzip der künstlerischen Freiheit zu formulieren. Da bekam er im Klartext zu hören, dass sein Günstling jedes vernünftige Maß schon längst überschritten und keine denkbare Unanständigkeit ausgelassen habe, um die Moral und den Anstand eines katholisch vaterländisch gesinnten Publikums zu verletzen. Doch jetzt stehe nicht Fernandos Zukunft auf dem Spiel, sondern die des Direktors persönlich, und die hänge davon ab, was in seinen Räumlichkeiten aufgeführt werde. Steinkeller wurde geraten, sich baldmöglichst von seinem Star zu trennen, sonst könne es ihm selbst schlecht ergehen. Der Direktor versprach, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen, obwohl er für sich bereits beschlossen hatte, Fernando weiterhin seine volle Freiheit auf der Bühne zu gewähren.
    Zwei Wochen später, an einem heißen Junitag mit schweren Gewitterwolken am Horizont, wurde der Direktor erneut zu einem Gespräch gebeten. Diesmal fand die Unterhaltung nicht unter vier Augen statt, der Polizeipräfekt hatte zwei muskulöse Handlanger in schwarzen Ledermänteln bei sich, die ihm halfen, Steinkeller zu überzeugen. Die Männer benutzten handgreifliche Argumente: Sie drückten den Direktor auf einen Stuhl, gaben ihm ein paar kräftige Ohrfeigen und hielten ihn an den Schultern fest. Steinkeller hörte seinen Puls im Körper pochen und das Blut in den Ohren rauschen. Wie versteinert von Angst und Faszination lauschte er der sachkundigen Beschreibung des Polizeipräfekten, die ihm veranschaulichte, was mit ihm geschehen würde, sollte Fernando nicht binnen vierundzwanzig Stunden das Kabarett verlassen haben. Es muss für Steinkeller überaus quälend gewesen sein, denn er hatte ein gutes Herz und liebte Fernando wie einen Sohn. Aber zu seinem Entsetzen sah er ein, dass er keine Wahl hatte, es war aussichtslos, Widerstand zu leisten, er musste sich der Gewalt beugen.
GEGEN HITLER
    Zu seinem eigenen Erstaunen war mein Großonkel seltsam erleichtert, beinahe heiter. Zunächst fürchtete er, die Bühne zu vermissen, besonders den Kontakt mit dem Publikum – den Leuten in die Augen zu sehen, während sie ihm zuhörten, dürstend nach

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