Das Ende Der Ausreden
Position nähert.
Und das ist auch völlig in Ordnung. Wir sollten das Kind dann aber auch beim Namen nennen. Das sind Überzeugungsgespräche, argumentative Ausflüge mit der Zielsetzung der Piraterie.
Wir möchten aber zugleich, dass der Ehemann, der bei unserer beharrlichen und entschlossenen Beweisführung irgendwann erschöpft nachgibt, weil er jetzt in Ruhe seinen »Spiegel« lesen oder die »Tagesthemen« sehen will, begeistert ist von unseren Argumenten. Und wir erwarten insgeheim, dass die Kollegin sich bei uns bedankt, weil wir sie ja auf den richtigen Weg gebracht haben. Diese Erwartungen erfüllen sich nie. Zu Recht. Es ist etwas völlig anderes, die Diskussion oder den Gesprächspartner zu gewinnen. Wohl wahr. Wir möchten aber meist das Erste und das Zweite bitte dazu.
Überzeugen heißt auch – Verlierer produzieren. Dabei hat Überzeugen doch einen so positiven Klang. Überzeugungskraft gilt als Führungsqualität. Aber es macht viel mehr Spaß, überzeugt zu haben, als überzeugt worden zu sein. Warum eigentlich? Ist es nicht wunderbar, wenn sich die bessere Auffassung durchgesetzt hat?
Wenn ich einen anderen überzeuge, hat sich meine – bereits vorher etablierte und mitgebrachte – Meinung als stärker, stabiler, kraftvoller erwiesen. Das ist schön, das fühlt sich gut an. Für mich. Da sind wir alle Überzeugungstäter.
Wenn ich überzeugt wurde, gebe ich meine Meinung, die ich aus guten Gründen vorgetragen und vertreten habe, auf. Das kann ich generös tun, das kann ich ohne Verlustgefühl tun (je weniger wichtig mir das Thema ist, desto leichter), das kann ich zögernd oder widerwillig tun. Jedenfalls bin ich anschließend meine Meinung los und habe die des anderen. Da fremdeln wir erst mal. Besonders, wenn das Ganze vor Publikum stattgefunden hat.
Ob ich nun überzeuge oder überzeugt werde, eines bleibt gleich: Es wurde kein neues, gemeinsames Ergebnis entwickelt, sondern eine Meinung hat sich durchgesetzt. Schön und gut, könnte man nun einwenden. Was soll’s, so ist das Leben. Mal gewinnen, mal verlieren. Lass es uns sportlich nehmen. Einverstanden. Überzeugen macht Spaß, recht bekommen auch, meine Selbstverständlichkeiten bestätigen: sowieso. Das ist, wie das Buch eines Autors zu lesen, bei dem ich auf jeder dritten Seite an den Rand schreiben möchte: »Genau!!!« Ich bin so klug wie vorher, dazugelernt habe ich nichts, aber das Buch ist klasse.
Dialog ist nicht für alles gut. Aber wenn es darum geht, mich selbst und andere Menschen besser kennenzulernen und zu verstehen, dann sollte ich den Schalter vom Rechthabenauf den Dialogmodus schieben.
Es ist unglaublich schwer, bei Themen, bei denen ich Aktien im Spiel habe, ergebnisoffen zu sein. Auch nur näherungsweise. Es kostet Kraft, nicht sofort ins Pingpong des Rechthabens zu gehen. Sobald Selbstverständlichkeiten angesprochen sind, ist es nahezu unmöglich. Jedenfalls solange ich sie nicht als solche enttarnt habe.
Und nun kommt eine wichtige Dynamik ins Spiel: Wenn ich mit großer Verve dafür kämpfe, dass meine – und nur meine! – Meinung richtig ist, entfache ich das Feuer des Rechthabens auch im anderen. Oder umgekehrt: Mag ich auch moderat und gelassen in ein Gespräch gegangen sein, je kategorischer und unbeugsamer sich mein Gesprächspartner geriert, umso eher bin auch ich irgendwann versucht, doch noch ein Argumentationsscheit draufzulegen.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn mir ein Gegenstand oder ein Gesprächpartner egal ist. Dann können die Positionen noch so krass formuliert werden, ich bleibe ganz ruhig. Plustert euch ruhig auf, ist mir recht. Vertretet radikale Positionen – warum nicht?! Was lässt es sich hier gut abgeklärt sein. Was sich als Toleranz ausgibt, ist blanke Resignation und Gleichgültigkeit.
Aber in lebenden Beziehungen und wenn uns das Thema etwas bedeutet, ist es anders. Da führt die oben beschriebene Dynamik dazu, dass sich das Gespräch aufschaukelt und die Qualität der Argumente erheblich ab- statt zunimmt. Dass wir, wann immer unsere Selbstverständlichkeiten ins Spiel kommen, nicht mehr dialogfähig sind, sondern nur noch unproduktiv herumstreiten, ist eine alltagserprobte Einsicht.
Zum Erwachsensein gehört, sich für unterschiedliche Auffassungen gelassen öffnen zu können. Zu können wohlgemerkt, nicht zu müssen . Natürlich sind kluge Streitgespräche großartig, den Verstand aneinanderzuwetzen und bis zur Satire einseitig zu diskutieren, das freut
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