Das Ende Der Ausreden
gehöre, kann die Beschreibung typischer Verhaltensweisen bestenfalls erste Anhaltspunkte geben. Hier liegt eine Quelle gefährlicher Missverständnisse: Ich kann einen Typus nicht daran erkennen, dass er immer elegant oder nachlässig gekleidet ist, schlecht zuhört, Konflikte meidet wie der Teufel das Weihwasser oder ohne Bedenken einen Porsche fährt. Es verfehlt den Sinn des Enneagramms, statt seine Schätze zu heben, wenn wir hier oberflächlich zuordnen.
Hilfsbereitschaft kann ganz unterschiedlichen Motiven folgen, moralisches Argumentieren, Aggressivität, Konkurrenz, schnelles Beleidigtsein, Impulskontrolle oder das Negieren von Problemen ebenfalls. Entscheidend ist immer der innere Antrieb für das sichtbare Tun: Auf welche innere Bedingung reagiere ich mit dem Verhalten? Für welche frühe Not war es eine Lösung?
In erster Linie ist das Enneagramm für uns selbst gedacht: Erkenne dich selbst, verstehe dich besser, lerne deine Möglichkeiten auszuloten. Und wenn wir eine echte Übung darin haben, uns freundlich und immer leichter in unseren Ego-Gewohnheiten zu erkennen und uns nach und nach von ihnen zu emanzipieren, dann können wir vorsichtig den Blick auf die anderen richten, mit einem Ziel vor Augen: sie besser zu verstehen. Nicht zu bewerten, zu verurteilen oder zu idealisieren. Nicht den einen besser, den anderen bemitleidens- und den dritten bewundernswert zu finden und gar nicht zu merken, wie wir unser neues Wissen ungewollt nur in unser altes Ego-System einbauen – und so nichts dazugewonnen haben.
Welche Beschreibung charakterisiert Sie am besten?
Typ 1 Die Perfektionisten
Um es vorwegzusagen: Nicht alle Perfektionisten sind ordentlich. Aber alle interessieren sich für die Ordnung der Dinge, für richtig und falsch und für die beste Lösung. Einen Fehler unkommentiert stehen zu lassen, bereitet ihnen beinahe körperliches Unbehagen. Ihr Blick fällt auf das, was man verbessern könnte, das decken sie auf, ungerührt davon, ob das sonst noch jemanden interessiert oder ob es dafür Applaus geben wird. Man nennt sie daher auch Reformer, sie sind unbequem, unbestechlich, verlässlich, berechenbar, ihren Idealen und Prinzipien treu. Ein bisschen weißes Pferd ist immer dabei, die Fahne der Ideale und Gerechtigkeit weht leise dazu.
Das Spielerische, Leichte, Unbeschwerte ist nicht ihr Element, aber ihre große Sehnsucht. Kein Wunder, fast alle Perfektionisten sind zu früh aus der Kindheit vertrieben worden. Nicht wenige mussten zur Unzeit eine quasi elterliche Rolle einnehmen. Ihr Freiheitsdrang und der Wunsch nach Eigenständigkeit wurden oft nachhaltig unterhöhlt (»Gib keine Widerworte!«). Sie haben gelernt, ihre Gefühle zu kontrollieren und vor allem Ärger und Zorn zu unterdrücken. Sie träumen von heiterer Gelassenheit, davon, sich selbst und anderen endlich die Akzeptanz und Vorbehaltlosigkeit schenken zu können, die ihnen als Kind vorenthalten wurde. Die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und sehen zu können, dass so vieles schon gut ist.
Der größte Teil des Dialoges mit der eigenen und der Unvollkommenheit anderer findet bei ihnen im Kopf statt. Der innere Kritiker schläft nie: Perfektionisten neigen dazu, sich lange und intensiv darüber zu grämen, wenn ihnen etwas nicht gelungen ist. Die Intensität, mit der sie wieder und wieder die Situation gedanklich durchspielen, grenzt an Selbstquälerei. Ihre Aufmerksamkeit geht unmerklich immer dahin, wo irgendjemand etwas nicht richtig macht (sie selbst, der Partner, der Chef, die Freundin, die Gesellschaft). Damit bleiben sie in der Tradition ihrer eigenen Prägung; sie haben den Eindruck gewonnen, dass sie die an sie gestellten Erwartungen nie wirklich erfüllen. »Wer war denn besser?«, wurde eine Frau als Kind gefragt, wenn sie mit (ihren immer) guten Noten nach Hause kam. Sie konnte es nie gut genug machen.
Ich habe einmal einen Konflikt moderiert zwischen einem Vertriebsleiter (einem Perfektionisten) und einem seiner jungen Mitarbeiter. Der Leiter empörte sich über den begabten Trainee, der ständig zu spät kam und überhaupt aus seiner Sicht eine ziemlich lose Arbeitsmoral aufwies. Allerdings auch erstaunlich erfolgreich war. Der junge Mann lümmelte lässig in seinem Sessel, während der Vertriebschef aufrecht vorn auf der Stuhlkante saß. »Sie ärgern sich sehr!«, äußerte ich meinen Eindruck. »Nein! Das hat mit mir nichts zu tun. Es geht um die Firmenkultur. Das macht man bei uns nicht, das gehört sich
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