Das Ende Der Ausreden
Kenntnis nehmen und uns selbst (respektive dem jüngeren Teil in uns) gut zureden.
Uns selbst liebevoll ansprechen? Na ja … Die Einladung, für sich selbst Aufmerksamkeit, Liebe und Mitgefühl zu entwickeln, ist für viele Menschen eine Provokation. Warum nur? Es ist das »für sich selbst«. Sollen wir jetzt unser Taschentuch in den See des Selbstmitleids tunken? Big boys don’t cry . Ein guter Liebhaber für die Partnerin sein, eine virtuose Mutter für die Kinder, eine loyale Weggefährtin für die Freundin – das ist prima. Aber: Uns selbst Liebe geben? Mütterlich uns selbst gegenüber sein? Uns mit uns selbst anfreuden? Ist ja bizarr. Das klingt irgendwie peinlich!
Peinlich müsste uns das aber doch nur sein, wenn wir uns selbst der eigenen Liebe, Aufmerksamkeit, Loyalität und Zärtlichkeit für nicht wert hielten. Ist das der Grund, wenn wir uns mit diesen Sätzen so unbequem fühlen? Einen kritischen, strengen, hoch anspruchsvollen und oft rücksichtslosen Umgang mit uns selbst erachten wir dann schon eher für akzeptabel. Merkwürdig, dass niemand etwas an der alltäglichen Praxis der Selbstbeschimpfung auszusetzen hat. Uns selbst mit Parolen wie »Jetzt aber!!!« zuzusetzen, »Du darfst nicht versagen!«, »Wenn das rauskommt …!« – das soll zielführend sein? Ganz sicher nicht. Es ist nur vertraut und gewohnt. So redet »man« eben.
Gut, Sie sind noch lange nicht erlöst, bisher gelingt Ihnen kein kosmisches Lachen, das alles verstanden und fast alles überwunden hat. Aber Sie sind auf dem Weg, Sie üben, und das ist großartig. Und Sie dürfen sich erlauben, sich selbst so zuzuschauen, wie Sie ihrem Jüngsten beim Laufenlernen zuschauen (würden), jeden klitzekleinen Fortschritt mit Liebe und Ermutigung begleitend. Sie dürfen das. Sie dürfen von sich selbst schon allein deswegen begeistert sein, weil Sie sich trauen, wieder Anfänger zu sein.
Das ist so weit weg von den sonst unerbittlichen Forderungen unseres Über-Ichs, dass viele unruhig zucken und den Widerspruch bereits auf der Zunge tragen, ehe die Empfehlung einmal komplett ausgesprochen ist. Was ist denn das für eine alberne Nabelschau? Diese abwehrenden und abwertenden Gedanken sind Ego-Munition. »Lass mich zufrieden, finde dich ab, wecke keine schlafenden Hunde. Vergiss die Meditation, im Fernsehen kommt ein guter Krimi!«
Widerstand kann von überall kommen – von innen und von außen
Auch unsere Lieben sind oft nicht sofort angetan, wenn wir uns mehr mit uns selbst beschäftigen. Neulich habe ich zugehört, wie eine Freundin ihre jüngere Schwester fragte, ob sie beide sich einmal über die gemeinsame Kinderzeit unterhalten könnten. Ihr sei in einer Therapie klar geworden, dass sie sich an vieles nicht erinnern könne, was ganz offensichtlich aber Einfluss auf ihr Leben nehme. Und da könnte die Schwester doch vielleicht helfen und ihre Erinnerungen beisteuern. Die wurde erkennbar nervös. Für sie war es neu und irgendwie verstörend, dass ihre große und erfolgreiche Schwester sich die Unterstützung eines Therapeuten gönnte. Sie wolle doch aber jetzt wohl hoffentlich nicht so werden wie die Leute, die nach Therapien immer nur noch um sich selbst kreisen?, fragte sie besorgt. Ihre Hilfe sagte sie so halbherzig zu, dass man schon taub sein musste, um das »Lieber nicht!« zu überhören. Es klang, als ob sie persönlich jedenfalls auf keinen Fall einen erinnernden Spaziergang in die Vergangenheit machen wollte. Das Gespräch kam nie zustande.
Solche Abwehrreaktionen sind ganz normal bei den Menschen, die uns nahestehen und mit denen wir uns auf unsere Spiele einvernehmlich geeinigt haben. Sie mögen zwar wollen, dass wir uns ändern – aber bitte nach ihren Vorstellungen. Wenn wir beginnen, ohne Absprache Selbstverständlichkeiten unseres gemeinsamen Lebens infrage zu stellen oder aufzukündigen, dann löst das in unserer Umwelt selten nur Begeisterung aus. Das wäre auch merkwürdig.
Das sollten Sie wissen und verstehen. Und dennoch Ihren Weg weitergehen. Sie brauchen sich nicht auf diese beunruhigten, spottenden, irritierten Reaktionen der anderen herauszureden. Ihre Reise ist: Ihre Reise. Sie müssen sie vor niemandem rechtfertigen, können sie antreten, auch ohne zu wissen, wohin genau sie Sie führt.
Bleiben wir bei der Baustelle Nummer eins: unserem eigenen Inneren in Konfrontation mit dem erweiterten Blick auf uns selbst. Wenn wir die Identifikation aufgekündigt haben, dann haben wir die wunderbare Entdeckung
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