Das Ende Der Ausreden
machen Fortschritt zur Illusion. Alle Erfahrungen bestätigen nur das bestehende Konzept.
Wenn wir beginnen, die vertrauten, gewohnten und ewig bekannten Gefühlsreaktionen auf den Prüfstand zu stellen und nicht länger mit der Realität zu verwechseln (»mir wurde unrecht getan«/»ich habe etwas falsch gemacht«) – dann können wir behutsam die emotionalen Marionettenfäden, an denen wir hängen, entwirren und lösen.
Wir backen uns ein Gefühl
Kleine Szene in der Bar eines Hotels. Einige Freunde sitzen zusammen. Petra ist als Letzte gekommen und bestellt sich einen Weißwein. Iris, eine Freundin am Tisch, beschwert sich, nachdem die Bedienung wieder weg ist, dass sie schon zehn Minuten auf ihren Pinot Grigio warte. Was das denn jetzt solle. Die Kellnerin kehrt zurück und – stellt einen Weißwein vor Petra hin. Iris sagt etwas spitz: »Ich warte seit zehn Minuten auf meinen Wein!« Die Bedienung darauf: »Tja, der wurde dann wohl woanders hingebracht!« und geht wieder. Kein »Sorry!« oder »Ach herrje, ich kümmere mich sofort!«. Iris frieren die Gesichtszüge ein. Petra muss lachen. »Das finde ich eine wirklich originelle Begründung«, sagt sie, »die kenne ich noch gar nicht!« Dieses Lachen, das Iris im ersten Moment noch weiter aufbringt, reißt sie schließlich aus der Ärgerspirale, und sie unterhalten sich über das, was in ihr vorgegangen ist.
Iris hatte sich geärgert, dass sie auf ihre Bestellung warten musste. Und zwar, weil sie es der Kellnerin offenbar nicht wert war, sich zügig um sie zu kümmern. Und dann kommt der Weißwein, der ihrer gewesen wäre, und den bekommt dann die andere. Das ist der Gipfel an Missachtung.
Iris hatte ihren Selbstwert mit der rechtzeitigen Lieferung eines italienischen Weißweins verknüpft. Das Ausbleiben hatte sie als Absicht zu ihren Lasten interpretiert und sich damit ein veritables Lieblingsgefühl gebastelt.
Was, bitte schön, war denn genau passiert? Das wissen wir nicht und werden es auch nicht herausfinden. Aber vermutlich hat jemand einfach etwas vergessen, sich vertan, sich nicht zuständig gefühlt. Ein Fehler ist passiert. Ein Grund zum Ärgern? Eigentlich nicht. Eher ein Grund zum Nachfragen oder Signalgeben: » Denken Sie bitte an meine Bestellung?« In dem Moment aber, in dem ich dem Versehen oder der Nachlässigkeit eine Absicht unterstelle, muss ich mich ungerecht behandelt wähnen und mich aufregen. Und dieser inakzeptablen Behandlung auf eine mir geeignet erscheinende Weise Paroli bieten.
In dem Persönlichkeitsmuster der Beschwerdeführerin spielen Selbstwert – und damit gespürte Anerkennung oder Ablehnung – eine große Rolle. Man würde niemals auf die Idee kommen, dass Iris eine besonders empfindliche Person ist, so scharfzüngig, sprachverliebt und hemmungslos sie selbst austeilt. Sie ist bekannt für ihre blitzschnelle Analyse und wenig zartfühlenden Feedbacks. Wäre sie in der Tiefe so selbstbewusst, wie man es aufgrund ihres offensiven Auftretens meinen könnte, hätte sie keinen Grund zur Aufregung.
Wir alle haben Tendenzen zu bestimmten Interpretationen. Eine andere Person würde in der gleichen Situation vielleicht traurig werden (»Ist ja klar, dass mich keiner sieht, so unscheinbar wie ich bin …«). Oder könnte kraft einer ganz anderen Deutung der Lage verständnisvoll ausharren (»Der Service ist bestimmt überlastet!«). Oder hätte gar nicht bemerkt, dass ihr Wein noch nicht da ist, weil sie sich so angeregt unterhalten hatte.
Wir konstruieren unsere eigene Wirklichkeit durch die Interpretation der Ereignisse. Je nachdem, wo unsere persönliche Empfindlichkeit liegt, produzieren wir das passende Gefühl. Und das wiederum versorgt uns dann mit der untrüglichen Gewissheit, im Recht zu sein.
Das Fussel-Problem: »Alles muss man selber machen«
»Immer muss ich aufräumen! Die Kollegen im Büro können tagelang an einem dicken schwarzen Fussel vorbeigehen, der prominent auf dem hellen Teppich liegt und unschön ins Auge springt«, beklagt sich eine Frau bei ihrer Freundin. »Ich frage mich dann, wie lange halten die das noch durch, ohne etwas zu machen? Ich gebe ihnen jede Chance, aktiv zu werden. Und nichts passiert. Wenn ich den Fussel nicht aufhebe, liegt er da, bis er mit dem Untergrund verfilzt! Also hebe ich ihn dann irgendwann auf und bin wirklich genervt!«
»Warum hebst du ihn dann nicht gleich auf, wenn er dich so stört?«, fragt die Freundin. Antwort: »Weil man doch erwarten kann, dass die anderen
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