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Das Ende Der Ausreden

Titel: Das Ende Der Ausreden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Roser
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sich auch mal zuständig fühlen. Das versteht sich doch von selbst, dass man etwas wegräumt, was da nicht hingehört. Es kann doch nicht sein, dass nur ich das immer mache!«
    Die Erwartung produziert die Enttäuschung und die Empörung. Statt des Fussels könnte es auch der Leergutkasten, eine kaputte Birne im Flur oder die Geburtstagskarte für die Kollegin sein, die ja schließlich besorgt werden muss. »An mir bleibt es immer hängen!« Die anderen sehen es nicht, oder wenn sie es sehen, fühlen sie sich nicht zu Handlung genötigt, oder sie wissen ja, dass sie, die Pflichtbewusste, es richten wird.
    Ein hausgemachtes emotionales Problem. Das Lieblingsgefühl bestätigt das Skript: Ein weiteres Mal zeigt sich, dass zwar sie ihre Pflicht tut, aber die anderen nicht. Womit wieder einmal bewiesen wäre … Und weder schafft sie es, den Fussel zu ignorieren, noch es den Kollegen zu verzeihen, dass sie so Fussel-ignorante, pflichtvergessene Taugenichtse sind. Aus dieser Situation gibt es scheinbar kein Entrinnen.
    Es gäbe aber verschiedene Auswege. Sie könnte ihre Erwartung aufgeben und fortan einfach tun, was sie für richtig hält, ohne davon auszugehen, dass das die anderen auch tun müssten. Sie könnte vom Sockel der stillschweigenden, das Schmollen bereits vorwegnehmenden Erwartung herabsteigen und sich in die Niederungen der Verhandlung begeben: Einen selbstverständlichen Anspruch brauche ich nicht zu verargumentieren; wenn ich aber akzeptiere, dass es mein persönlicher und kein absoluter Anspruch ist, muss ich schauen, wen ich dafür wie gewinnen kann. Sie könnte ihre Erwartung in einen Wunsch kleiden und um Unterstützung bitten. Sie könnte gezielt nach einem Umfeld suchen, in dem man ihre Auffassung von Ordnung teilt.
    In all diesen Fällen gäbe es für sie natürlich nicht die Entschädigung der moralischen Überlegenheit (die schon allerhand wert ist), aber vielleicht einen erfreulicheren Alltag. Sie müsste bereit sein, einen neuen Preis zu bezahlen. Wie wir alle, wenn wir von einem Lieblingsgefühl lassen und stattdessen in die Verantwortung gehen wollen.

Mit unseren Lieblingsgefühlen versuchen wir, unsere Erwartungen einzuklagen
    Wir meinen, es stünde uns zu, gerettet zu werden. Wir hätten Anspruch darauf, dass unsere Partner besser für uns sorgen als wir selbst. Das steht uns aber nicht zu. Dennoch: Mit sehr viel Bugwelle tun wir so als ob.
    In dem wunderbar munteren Lied »Ausgesprochen unausgesprochen« von Annett Louisan wird der innere Dialog beim Warten und Erwarten entwaffnend unverblümt offen gelegt:
    Würdest du mich wirklich lieben,
dann wüsstest du genau,
wie ich gerade fühle und was ich gerade brauch’!
Hab’ diesen Punkt, der mich berührt,
mit viel Missachtung demonstriert,
habe überdeutlich »Nichts!« gesagt
und dir damit mein Leid geklagt.
     
    Hab’ dich gewarnt mit keinem Laut.
Hab’ auf dein Feingefühl gebaut.
Du musst doch wissen, wenn ich schweig’,
dann ist das auch ein Fingerzeig.
Das hast du alles nicht gehört?
Bist du denn wahrnehmungsgestört?
    In diesem kleinen Text steckt nahezu alles drin, was es zur unseligen Verbindung von Opfergeschichten und Lieblingsgefühlen zu sagen gibt. Vor allem: wie die Verantwortung verteilt wird.
    »Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann …!« Wenn es mir also schlecht geht, dann – hast du versagt. Nicht etwa ich habe meinen Fürsorgeauftrag mir selbst gegenüber vernachlässigt. Dein Feingefühl ist gefragt, wenn ich mich unklar ausdrücke. Du bist wahrnehmungsgestört, wenn du mein Mienenspiel nicht zutreffend deutest. Du bist zuständig, wenn ich meinen Wünschen keine Worte verleihe. Du bist schuld – du liebst mich nicht richtig.
    Ist das so? Bei Licht betrachtet, wird da wohl kein Schuh draus, auch wenn es sich in den Situationen genau so anfühlt. Auf dem Altar des Wartens und Rechthabens wird tagtäglich so viel Lebenszeit geopfert, dass es kaum auszumalen ist, was wir damit alles Schönes machen könnten!
    Das Dilemma geht tiefer: Selbst wenn er mich liebt – werde ich es wirklich merken können? Kann ich liebende Zuwendung spüren und annehmen, wenn ich jahrelange Übung darin habe, mich mir selbst eben nicht liebevoll zuzuwenden? Darf der Prinz mich küssen, wenn er sich durch die Dornenhecke gekämpft hat? Kann ich ihm gar entgegengehen und ihm sagen »Küss mich!«? Wahrscheinlich nicht. Erst, wenn ich gelernt habe, mich selbst aus dem Sog der Lieblingsgefühle zu befreien.

Was wir

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