Das Ende Der Ausreden
komfortabel, als es seiner Erinnerung nach der gebuchten Kategorie entspricht. Er ärgert sich aus dem Stand, schließlich hat er teures Geld bezahlt. Und die meinen wohl, mit ihm könnte man das machen? Kommt nicht infrage, die werden ihn kennenlernen. Entsprechend aufgeladen geht er an die Rezeption. Er fragt nicht nach, versucht keine Klärung, sondern bricht einen Streit vom Zaun. Niemand hatte versucht, ihn zu übervorteilen, er selbst hatte sich im Reisekatalog in der Saison vertan. Das hätte deutlicher im Prospekt stehen müssen, wütet er. Am Ende bekommt er durch Eingreifen des Hoteldirektors, der keinen Streit im Foyer möchte, ein Upgrade und damit ein größeres Zimmer. Und seine Karteikarte eine Notiz »Vorsicht, schwieriger Gast«.
Aus Sicht des Mannes hat es sich einmal mehr bewährt, sehr energisch für seine Interessen zu streiten. Seine Empörung gibt ihm den Schwung dazu. Eine weitere Kerbe auf dem Revolver, mit dem er sich durchs Leben schießt. Leider hat sich auch ein weiteres Mal gezeigt, dass er niemals unbewaffnet gehen sollte und dass »man nichts geschenkt bekommt«. Das Hamsterrad ist weiter in Schwung.
Menschen, die schnell mit Empörung reagieren, sind oft sehr empfindlich, eigentlich sind sie zunächst gekränkt. Das zu zeigen oder zuzugeben, passt aber nicht zu ihrem Programm. Also keilen sie verhalten oder offen aggressiv um sich. Das wirkt nicht unbedingt als eine Einladung, nett und freundlich auf sie zuzugehen und vielleicht ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen, das zu der Kränkung geführt haben mag. So kann es leicht passieren, dass sie auf ihrer Verletztheit sitzen bleiben und dies ihr Weltbild weiter festigt. Indem sie auf den Putz hauen, bekommen sie zwar oft, was sie als ihr Recht betrachten, aber keine freundliche Zuwendung.
Lieblingsgefühle reproduzieren, was wir kennen. Auf diese Weise bauen wir an unserer Apokalypse. Das Muster verhärtet sich, oder wie neulich ein Seminarteilnehmer sagte: Es verholzt. Um dann hinzuzufügen, dass aus Holz irgendwann Stein werde. Und sein Bestreben sei, nicht zu versteinern. Wenn unser reflexhaft Wütender verstanden hätte, dass Empörung sein persönlicher Favorit auf der Gefühlskarte ist und in der Regel ein Platzhalter für weggeschobene Kränkung, dann könnte er in der Situation erst einmal Luft holen und prüfen, ob es dazu wirklich Grund gibt. Er könnte anders auftreten und es den anderen viel leichter machen, ihm entgegenzukommen.
Lieblingsgefühle verstellen den klaren Blick
Eine junge Frau hat mit zwei Freundinnen verabredet, dass diese sie am Ende ihres Urlaubes vom Bahnhof abholen. Der Zug hat mehr als zwei Stunden Verspätung. Als sie müde und genervt spätabends ankommt, wartet niemand auf sie. Dafür empfängt sie zu Hause auf dem Anrufbeantworter die vorwurfsvolle Nachricht einer der Freundinnen, dass man geschlagene zwei Stunden auf sie gewartet habe. Sie hat ein schlechtes Gewissen und entschuldigt sich am nächsten Tag. Tief in ihrem Inneren regt sich Widerspruch: Was kann sie eigentlich für die Verspätung? Sie ist traurig, verwirrt und vor allem hilflos. Sie weiß nicht, was jetzt richtig wäre. Ihr Fazit der Situation: Es würde nichts bringen, zu ihren eigenen Gunsten gegen den Vorwurf zu protestieren; ihretwegen haben zwei Menschen Zeit vergeudet, und das ist natürlich sehr schade; sie überlegt, wie sie die beiden wieder versöhnlich stimmen kann. Zugleich fühlt sie einen unerklärlichen leisen Zorn.
Zehn Jahre später erklärt sie einer Therapeutin, sie habe ein Problem mit wiederkehrenden depressiven Phasen. Worauf diese entgegnet: »Sie haben kein Problem mit Trauer, Sie haben eines mit Wut.«
In ihrer Geschichte hatte die Frau jahrelang gelernt, Zorn zu unterdrücken und sich selbst zurückzunehmen. Aus dem einmal jähzornigen, temperamentvollen Kind, das der durch vielfältigen Kummer belasteten Mutter zu anstrengend war, hatte sich ein sensibles, sorgfältig nach außen horchendes Kind entwickelt. Hauptsache, die Mutter musste nicht wieder klagen, dass der einstige Wildfang qua Geburt schuld sei, dass sie sich nicht aus der komplizierten, verfahrenen Ehe lösen könne, und es ihr überdies Kopfschmerzen mache, wie laut die Tochter sei. Im Lauf ihres Lebens wurde das Mädchen nahezu unfähig, zornig zu werden, es stand ihr nicht zu. Immer waren die Gefühle anderer wichtiger und deren Argumente besser.
Unsere Lieblingsgefühle bringen uns erneut an den Platz, wo wir schon stehen, sie
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