Das Ende der Geduld
seitens des Jugendamtes eine Familienhilfe eingerichtet. Wegen der Größe der Familien werden mitunter bis zu drei Sozialarbeiter benötigt, die aus unterschiedlichen Projekten der Jugendhilfe kommen können. Häufig werden die Bemühungen der Helfer von den Familien abgelehnt bzw. ihre Mitwirkung unterbleibt schlicht. Im weiteren Verlauf geschieht dann staatlicherseits oftmals nicht mehr viel, wenn man davon absieht, dass sich die bereits mehrfach erwähnten Schulwechsel bei den Kindern aneinanderreihen. Ich habe immer wieder den Eindruck, die Schulen werfen die Jugendlichen einander zu wie heiße Kartoffeln. Sie beklagen, sie seien nicht in der Lage, mit Kindern aus diesen Familien umzugehen. Auch gegenüber der Schule träten die Eltern entweder gar nicht oder fordernd auf, ohne sich selbst in irgendeiner Weise einzubringen. Das Jugendamt sei hier gefragt. Seitens des Jugendamtes höre ich hingegen, die Schulen müssten reagieren. Ich habe den Eindruck, bei allen Beteiligten schwingt Angst mit, die durch die mangelnde Zusammenarbeit noch verstärkt wird. Das scheint nicht nur in Berlin so zu sein. So rief mich einmal ein Jugendamtsleiter aus Norddeutschland an und schilderte, dass sich seine Mitarbeiter im Büro einschließen, wenn eine kinderreiche Familie mit Migrationshintergrund „anrückt".
Die „kleinen Prinzen" machen währenddessen weiter, was sie wollen, und bewegen sich zusätzlich in einem Umfeld anderer Kinder und Jugendlicher, die wie sie ohne jede Struktur in den Tag hineinleben. Auf diese Weise kann ich es mir inzwischen auch erklären, weshalb ich manchmal Angeklagte vor mir habe, die nur mit großer Mühe ihren Vornamen kritzeln können. Irgendwann scheinen die beteiligten Behörden dann erschöpft darauf zu spekulieren, dass die Jungen vierzehn Jahre alt werden. Ich vernahm schon den einen oder anderen Seufzer: „Na, der ist ja bald strafmündig und dann endlich ein Fall für die Justiz."
Nachdem nun endlich die magische Grenze von vierzehn überschritten ist, können die Täter vor das Jugendgericht gebracht werden. Inzwischen haben sie es auf einige Diebstähle, Körperverletzungen und Raubüberfalle gebracht. Mehrere ältere männliche Geschwister sitzen bereits in der Strafanstalt. Da viele Kollegen bei den jüngeren „Nachrückern" nicht als erste jugendrichterliche Maßnahme eine Jugendstrafe verhängen möchten, kommt es häufig zur Anordnung von Anti-Gewalt-Maßnahmen und mehrwöchigen Dauerarresten. Bis diese Weisung umgesetzt bzw. der Arrest vollstreckt ist, vergehen erneut einige Monate. Zeitgleich versucht das Jugendamt weiter, mit unterstützenden Angeboten zu agieren. In einem Intensivtäterverfahren wartete der 15-jährige Verurteilte nicht lange ab, sondern beging noch am Tage seiner Verurteilung wegen Diebstahls eine erneute Straftat. Er ging mit mehreren Kumpeln ins Schwimmbad. Dort sollte er einem Security-Mitarbeiter seine Eintrittskarte vorzeigen, nachdem er einige Mädchen belästigt hatte. Dazu hatte er aber keine Lust und wurde deshalb des Bades verwiesen. Er beschloss daraufhin mit den Freunden, dem Kontrolleur aufzulauern und ihn bei sich bietender Gelegenheit tätlich zu attackieren. Einer seiner Begleiter sollte dies mit dem Handy filmen. Als der Security-Mann das Bad verließ, verwickelten die Täter ihn in ein Gespräch, auf das dieser freundlich einging. Kurz bevor er sich entfernen wollte, schlug nun der frisch Verurteilte dem Mann mit der Faust wuchtig in das Gesicht, sodass dessen Brille zerbrach und er diverse Augen- und Gesichtsverletzungen davontrug und für kurze Zeit besinnungslos war. Nachdem der Kumpel das Geschehen filmisch dokumentiert hatte, rannten alle Beteiligten lauthals lachend davon.
Während der Untersuchungshaft stellte sich nun heraus, dass der Angeklagte bereits vor dem Vorfall im Schwimmbad eine weitere erhebliche Straftat begangen hatte. Er überfiel maskiert und unter Mitführung mehrerer Waffen, u.a. einer Schreckschusspistole, die für das Opfer nicht von einer echten Schusswaffe zu unterscheiden war, gemeinsam mit zwei ebenfalls gerade strafmündigen guten Bekannten eine Drogeriefiliale. Dem männlichen Angestellten wurde die Waffe gegen die Schläfe gedrückt. Das angstverzerrte Gesicht des Mannes ist auf dem Video der Überwachungskamera deutlich zu sehen und erschüttert auch hartgesottene Richterinnen, die ehrenamtlichen Schöffen natürlich erst recht. Die Teilnahme des Angeklagten an dieser Tat, bei der einige Hundert Euro
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