Das Ende der Geduld
„Schuldistanz" heißt das jetzt, das Wort „Schwänzen" ist nicht mehr so gebräuchlich. 20 Prozent der Hauptschüler in Neukölln und immerhin 100 Grundschüler sind von dauerhafter Schulabstinenz betroffen. Das zeitweilige Fernbleiben vom Unterricht ist noch deutlich verbreiteter. Bei den übrigen Kindern kommt Langeweile auf, wenn sich die Lehrerin verzweifelt bemüht, die Nachzügler wieder an das erreichte Niveau der Klasse heranzuführen. Ein echtes Programm für diese Situation gibt es nicht, denn die unerlaubte Verlängerung der großen Ferien wurde in manchen Bezirken geduldet, ohne dass hieraus etwas Greifbares folgte. Lange Zeit ging man darüber hinweg, was das Problem der auseinanderklaffenden Wissensstände vergrößerte. Außerdem ist es ein offenes Geheimnis, dass manch ein überforderter Lehrer nicht unglücklich ist, wenn ein sehr kompliziertes Kind, das den Unterricht stört, weil es sowieso nicht folgen kann, erst gar nicht erscheint. Selbstverständlich sollte dies nicht so sein - aber haben die Lehrer wirklich die volle Unterstützung ihrer Verwaltung bei der Bewältigung der Probleme? Nicht nur die Neuköllner Rütli-Schule hatte irgendwann kapituliert. Der Bildungsauftrag könne nicht mehr erfüllt werden, ließ die Schule verlauten. Hier wurde zwar viel Geld investiert, was aber insgesamt keine nachhaltige Problemlösung nach sich zog. Etwas „Rütli" findet man in nahezu jeder Schule vor.
Anfang des Jahres 2009 haben 68 Schulen in Berlin-Mitte sich mit einem ähnlichen „Brandbrief" an den Schulsenator gewandt. Dabei haben die Direktoren den Mut aufgebracht, auch die Schwierigkeiten im Umgang mit den migrantischen Kindern und Elternhäusern anzusprechen. Es folgte nach meinem Kenntnisstand ein Gespräch mit der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer sowie mit der Schulverwaltung. Sicherlich werden mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket das äußere Erscheinungsbild der Schulen verbessert, die Sanitäranlagen in Ordnung gebracht und die Dichte des sozialen Angebotes erhöht. Damit allein ist jedoch nicht auszukommen.
Mir schildern Lehrerinnen und Lehrer, dass die Kinder ohne Frühstück in die Schule kommen, keine Pausenbrote dabei haben, dürftig und für mitteleuropäische Verhältnisse meist zu dünn bekleidet erscheinen. Sie haben keine Bücher, Hefte und Stifte dabei, manche kommen bereits zur Einschulung ohne Begleitung. Die Grundschüler sind auch motorisch zurückgeblieben. Sie können teilweise nicht auf einem Bein stehen oder rückwärts laufen, sich nicht allein die Schnürsenkel binden oder mit einer Schere umgehen. Trotz dringenden Gesprächsbedarfs besuchen manche Eltern die Elternabende nicht, auch Einzelgespräche werden häufig verweigert.
Auf einer Gesamtkonferenz mit den Lehrkräften einer Schule war einmal vom Zusammenhang zwischen Schulversäumnis und Kriminalität die Rede und von der Notwendigkeit diesbezüglicher Aufklärungsarbeit. Als ich mich erbot, an Elternversammlungen teilzunehmen, um Präventivarbeit zu leisten, meinte der Direktor dazu nur: „Frau Heisig, wir können uns dann ja in einer Telefonzelle treffen, da sind wir dann wenigstens zu zweit."
Mir wird immer wieder berichtet, viele Eltern seien es aus ihren Herkunftsländern gewohnt, dass man die Kinder mit dem Beginn der Schulzeit in die staatliche Obhut gibt und dass dort dann nicht nur gelernt wird, sondern zugleich auch die Erziehung stattfindet. Ich sehe aber nicht ein, dass wir an dieser Stelle des Problems verharren. Es ist den Eltern, die im Hinblick auf ihre sonstigen Angelegenheiten (wie die Sicherung des Aufenthaltes und des Bezuges staatlicher Leistungen) durchaus in der Lage sind, sich auf bei uns geltende Gesetze einzustellen, zu vermitteln, wie die schulischen Belange ihrer Kinder zu handhaben sind. Angesichts ihrer religionsbedingten Distanz zu Alkohol und Drogen sollte man annehmen, dass sie eher für verbindliche Absprachen zu gewinnen sind als so manche deutsche Eltern, bei denen der Alkohol- und Drogenkonsum ein fast unüberwindliches Problem darstellt.
Die dargestellten Nachlässigkeiten in der Förderung der Kinder werden sich fortsetzen, wenn den hartleibigen Eltern nach Ausschöpfung aller sozialen Angebote, die nach meinen Beobachtungen durchaus vorhanden sind, nicht deutlich gemacht wird, dass aus ihrer partiellen Verweigerungshaltung auch Konsequenzen erwachsen.
Aus meiner Sicht ist zum Wohle der nachwachsenden Generation ein besonderes Augenmerk auf die Durchsetzung der
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