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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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unter dem hellgrauen Himmel am Meer entlang, das sich rechts von uns ausbreitete. Die vielen, endlosen Stunden, die ich mit Hundespaziergängen verbrachte, ermöglichten mir, die Natur in all ihren möglichen Erscheinungsformen zu studieren, während B. darauf pinkelte und nach den Hinterlassenschaften anderer Hunde schnüffelte, darüber hinweglief, darauf sprang, daran herumkaute, davor flüchtete oder mit ihnen im Maul ankam, damit ich sie für sie warf. Ich beobachtete auch andere Tiere, Vögel und Bäume, die in der Ferne auftauchten, und dachte dabei Dinge, die mein Vater ganz unmöglich gefunden hätte. Zum Beispiel: Vögel müssen doch glücklich sein, wenn sie fliegen. Oder auch: Die komische Pflanze da hat sicher Spaß daran, im Sand zu wachsen .
    Einmal hatte ich versucht, Christopher die Prinzipien der Evolution und der natürlichen Selektion zu erklären, und dafür das übliche Beispiel von der Giraffe verwendet. Ich wollte keine lange Diskussion über die Einzelheiten der Artenbildung riskieren, die er mir wahrscheinlich ohnehin nicht geglaubt hätte, und präsentierte ihm daher die vereinfachte Version. In den Tagen, als die Giraffen noch keine langen Hälse hatten, erzählte ich ihm, und im Grunde nur eine Art Pferd oder Esel waren, kam plötzlich ein Giraffenmännchen mit einem riesenhaft langen Hals zur Welt, mit dem es sehr viel besser an die Blätter ganz oben auf den Bäumen kam. Im Handumdrehen wurde es zum König des Waldes und konnte seine mutierten Gene problemlos weitergeben, weil alle Giraffenmädchen nur noch von ihm besprungen werden wollten. Seine zahlreichen Söhne und Töchter profitierten ebenfalls von dem evolutionären Vorteil, an die oberen Blätter zu kommen, während die anderen Giraffen nach und nach ausstarben, womöglich aus Trauer darüber, dass sie die obersten Blätter nie erreichen würden. Das alles war vor so langer Zeit geschehen, dass wir die Zwischenstufen nicht mehr zu sehen bekommen hatten; wir kannten nur die «fertigen» Giraffen. «Coole Story, Babe», hatte Christopher erwidert. Und weil es das erste Mal gewesen war, dass er überhaupt etwas Wissenschaftliches begriff, sparte ich mir den Hinweis darauf, was das sonst noch hieß: dass die Giraffen nämlich mitnichten endgültig fertig waren, weil die Evolution bis ans Ende aller Zeit weiterackert – und das ist niemals schon morgen, auch wenn wir alle glauben, dies könnte der Fall sein. Außerdem fragte ich mich, was die Giraffen wohl jenseits der Baumwipfel noch wollen könnten? Den Mond vielleicht? Oder wollten sie womöglich gar nichts?
    Ich konnte kaum fassen, dass Christopher die Evolution einfach als «coole Story» akzeptierte und sie ansonsten nicht weiter erstaunlich fand. Schließlich war es ja ein gewaltiger Schritt von den Einzelteilen der Giraffe – und den Einzelteilen von dir und mir –, die einfach so im Universum herumschwirrten, zu der Tatsache, dass wir alle tatsächlich komplett und funktionstüchtig hier existierten. Jedes lebendige, zum Denken fähige Wesen musste sich doch selbst ganz erstaunlich finden. Aber wir hatten erst in der Woche zuvor einen Riesenstreit wegen der Lichtgeschwindigkeit gehabt, vielleicht hatte Christopher also nur gut Wetter machen wollen. Auf dem Weg zum Kiosk musste ich nun wieder an Kelsey Newman und sein Post-Universum denken, in dem sich nichts jemals wieder weiterentwickeln würde. Jeder wäre ein Held, der nach Sex und Sieg strebt, ohne jeden Grund. Alles wäre vorhersehbar – und nichts mehr erstaunlich.
    Am Kiosk kaufte ich eine Portion Fish and Chips für mich und ein Würstchen für B. Dann setzte ich mich auf eine Bank mit Blick aufs Meer und überlegte, welche Medikamente ich für Christopher besorgen sollte. Wenn das Buch, das ich gelesen hatte, recht behielt, würde so ziemlich alles helfen, solange er – und vielleicht auch ich – nur daran glaubte. Es war kalt, und ich überlegte, rasch auf ein Halfpint ins Foghorn zu gehen und mich am Feuer aufzuwärmen. Als ich mit der leergegessenen Tüte zum Kiosk zurückkehrte, fiel mir auf, dass dort in der Zwischenzeit ein Zettel hing: Fischerhäuschen für die Nebensaison zu vermieten, 300 £ im Monat . Das war ausgesprochen billig; es lag genau in dem Rahmen, den ich mir für einen Büroraum überlegt hatte.
    «Entschuldigung», sprach ich die Kiosk-Verkäuferin an. «Wissen Sie, an wen ich mich da wenden muss?»
    «An Andrew Glass», antwortete sie. «Vom Foghorn.»
    «Oh, da wollte ich

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