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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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mittelalterlichen Werk über die Übel der Hexerei, der sich unter anderem detailliert darüber ausließ, wie die Hexen Männer um ihr «viriles Glied» brachten. Den mittelalterlichen Verfassern zufolge beraubte die Hexe den Mann nicht direkt seines Gliedes, sondern ließ ihn einfach glauben, es sei nicht mehr da. Daneben wurde auch die Impotenz behandelt, mit folgender Schlussfolgerung: «Wenn die Rute sich gar nicht bewegt, sodass (d)er (Mann) niemals (sein Weib) erkennen konnte, so ist dies ein Zeichen von Kälte; aber wenn sie sich bewegt und steift, er aber nicht vollenden kann, so ist das ein Zeichen von Hexerei.» Weiter hinten in der Sammlung fand sich der Text eines am Ende des neunzehnten Jahrhunderts praktizierenden Homöopathen, der die Kraft des Sac. lac. beschrieb, der homöopathischen Variante einer Zuckerpille, und wie ratsam es sei, sie bei Patienten einzusetzen, die nicht daran glauben wollten, mit wenigen Dosen «echter» homöopathischer Medikamente geheilt zu werden. Ferner gab es Aufsätze von Medizinhistorikern und Anthropologen zur Geschichte des Placebo-Effekts und seiner Wirkung auf verschiedene Personengruppen im Lauf der Zeit. Eine Studie führte an, dass Gesellschaften aufblühten, deren Mitglieder sich alle auf bestmögliche Weise versorgt glaubten, während Kulturen stagnierten, in denen nur die Reichen und Mächtigen Zugang zu Medikamenten hatten und diese allen anderen verweigert wurden.
    Der zweite Teil des Buches versammelte aktuelle Texte zum Thema Placebo-Effekt. Ein Aufsatz verwies auf eine Studie, der zufolge blaue Tabletten entspannend auf die Patienten wirkten, während rosafarbene sie wacher machten, selbst wenn die Tabletten keinen Wirkstoff enthielten. Eine weitere Studie hatte anscheinend nachgewiesen, dass auch Tiere und Pflanzen auf Placebos ansprachen. Das vorletzte Kapitel warf die Frage auf, ob die Tatsache, dass Tiere und Pflanzen darauf reagierten, nicht dafür spreche, dass der Placebo-Effekt sich im Geist des Heilenden und nicht in dem des Patienten vollziehe, und erörterte, was daraus zu folgern sei. Der letzte Beitrag stammte von Claude Dubois, einem bekannten Wissenschaftler, der in Ungnade gefallen war, als eine von ihm geleitete Studie belegte, dass homöopathische Medikamente nachweisbare Wirkung zeigten. Anfangs schien an seinen Versuchen nichts Falsches zu sein, und sogar die Zeitschrift Nature veröffentlichte die Ergebnisse. Doch dann fiel eine Gruppe bekannter Skeptiker in sein Labor ein, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie wiederholten seine Versuche, natürlich ohne Erfolg, wiesen der ursprünglichen Studie alle möglichen Ungereimtheiten nach und kamen zu dem Schluss, dass Dubois seine Ergebnisse absichtlich oder unabsichtlich verfälscht habe und seine Studie fehlerhaft sei. In seinem Aufsatz für Radikal-Heilung untersuchte Dubois die Auswirkungen, die der Geist nicht nur auf eigene Erkrankungen, sondern auch auf wissenschaftliche Versuche haben kann. Konnte man eine Studie genauso dazu «bringen», die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen, wie man sich selbst dazu bringen konnte, wieder gesund zu werden? Wenn das zutraf, fuhr Dubois fort, dann war ja auch das Gegenteil denkbar. Hatten sein positives und das negative Ergebnis der Skeptiker also statt definitiver Erkenntnisse über das Wesen der Homöopathie nicht vielmehr einfach etwas über ihre eigenen Überzeugungen offenbart?
    Nachdem ich das Buch ausgelesen, Christopher etwas zu Mittag gemacht, abgespült und mich überzeugt hatte, dass er mit allem versorgt war, was er brauchte, zog ich meinen Mantel an und packte meine Sachen zusammen. Das umfasste auch den Vorabdruck der Zweitwelt , den ich Josh vorbeibringen wollte und dazu in eine Plastiktüte gesteckt hatte. Christopher schaute inzwischen eine Sendung über den versunkenen Kontinent Atlantis, in deren Mittelpunkt eine auf Äußerungen von Platon und anderen basierende Computersimulation über den Anfang und das Ende jener Zivilisation stand. Augenblicklich befand man sich etwa im Jahr 8000 v.Chr., und die gewaltigen, künstlich wirkenden Landmassen waren gerade in zwei Teile zerfallen. Auf dem Bildschirm sah man eine Animation aus reichverzierten Palästen, langen steinernen Straßen, einem breiten Graben, Tempeln, an deren Mauern das heilige Auge prangte, und Menschen mit olivfarbenem Teint und auffallend hohen Wangenknochen. Plötzlich begann der Erdboden zu zittern. Ein gewaltiges Erdbeben, gefolgt von hohen Flutwellen und

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