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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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tut mir leid.»
    Ich lächelte sie an. «Mein Leben ist ganz schön kompliziert. Aber eigentlich geht es mir gut. Und mir ging es nach dem Fest genauso. Aber weißt du, vielleicht kommt es ja gar nicht so weit. Vielleicht gehst du ja gar nicht weg.»
    Sie hörte nicht auf zu weinen, und ich gab ihr B.s Leine in die Hand, um noch mehr Servietten von drinnen zu holen. Als ich zurückkam, war B. Milly auf den Schoß geklettert und leckte ihr das Gesicht ab. Sie konnte es nicht ertragen, wenn Menschen weinten, und wollte ihnen immer die Tränen weglecken.
    «Runter!», rief ich. «Na los, du dummer Hund!»
    «Ist schon gut», sagte Milly. «Sie tröstet mich ein bisschen.»
    «Na gut, aber schmeiß sie einfach runter, wenn es dir zu viel wird.»
    «Es ist schön, wenigstens einmal nicht verurteilt zu werden», meinte Milly, nachdem sie sich die Nase geputzt und sich wieder etwas beruhigt hatte. «Tiere verurteilen einen nie. Weißt du, es ist ja nicht nur Christopher. Becca ist genauso. Das war einfach nicht mehr zu ertragen.»
    «Oh, mit Becca hatte ich auch schon das Vergnügen», sagte ich. «Sie spricht seit sieben Jahren kein Wort mehr mit mir. Irgendwann findet man sich damit ab.»
    «Peter nicht, glaube ich. Er ist so lieb und rücksichtsvoll. Aber wie soll man auf Dauer sowohl zu seinen Kindern lieb und rücksichtsvoll sein als auch zu der Frau, die sie ablehnen? Josh ist toll, aber die anderen beiden … Na ja. Jetzt ist es ja vorbei. Ich gehe nach London zurück und ziehe wieder zu meinen Eltern. Wahrscheinlich wird es etwa ein Jahr dauern, bis ich über Peter hinweg bin, und danach lerne ich vielleicht einen ehrgeizigen jungen Dirigenten kennen oder sonst jemanden, den meine Mutter toll findet. Aber ich werde niemanden mehr so lieben, wie ich Peter liebe. Es ist bizarr. Er ist fünfundsechzig, und ich bin achtundzwanzig. Wenn er nur zehn Jahre jünger wäre und ich zehn Jahre älter, dann käme es in etwa hin. Oder wenn er die Frau wäre und ich der Mann. Da wären dann wenigstens nicht so viele Klischees im Spiel.»
    «Das stimmt allerdings», sagte ich. «Ich bin mit einem Paar befreundet, das so eine Art von Beziehung führt. Sie ist über sechzig, er ist gerade dreiundfünfzig geworden. Sie macht ständig Witze über ihren jugendlichen Liebhaber, und alle lachen. Eigentlich ist es ungerecht, dass es so herum funktionieren soll und nicht auch andersherum. Aber weißt du, es stimmt doch gar nicht, dass dich jeder verurteilt. Bei jedem gibt es doch irgendetwas, das andere ganz furchtbar fänden, wenn sie davon wüssten. Und wenn man das nicht verstecken kann oder nicht verstecken will, gehen manche Leute auf einen los. Das ist Teil ihrer Tarnung.»
    Milly trank von ihrem Kaffee. «Wenn Becca am Wochenende zu Besuch kommt, versteht es sich von selbst, dass ich mich fernhalte. Wusstest du, dass ich gerade im Begriff war, bei Peter einzuziehen? Er meinte, vielleicht könnten wir es Becca einfach ein Jahr lang nicht sagen, und hat mich gefragt, ob es mir sehr viel ausmachen würde, an den Wochenenden, an denen sie kommt, nach London oder sonstwohin zu fahren und meine Sachen wegzuräumen. Er kann keinem seiner Kinder etwas abschlagen; das hast du ja sicher auch schon gemerkt. Also braucht sie im Grunde nur anzurufen und zu sagen, dass sie kommt, und schon muss ich meine Pläne ändern. Er hatte auch Bedenken, als ich meine Harfe zu ihm gebracht habe, weil die so schwer zu verstecken ist, wenn Becca zu Besuch kommt. Ich bin es einfach so leid, ständig das Gefühl zu haben, dass er sich für mich schämen muss. Als Becca letztes Mal hier war, hatte ich gerade Geburtstag. Peter hatte einen Tisch für uns in diesem schönen Restaurant auf dem Dartmoor reserviert, aber dann hat er dort abgesagt, sich bei mir entschuldigt und mich gefragt, ob wir meinen Geburtstag nicht ein andermal feiern könnten. Das Schlimmste ist, dass ich keine eigenen Kinder und Enkelkinder habe und auch nie welche bekommen werde, wenn ich bei Peter bleibe. Deshalb dreht sich mein ganzes Leben nur um ihn, während sich bei ihm nur ein Teil davon um mich dreht. Und das wird sich niemals ändern. Für ihn werde ich nie an erster Stelle stehen, obwohl doch ich diejenige bin, die immer da ist, obwohl ich mich tatsächlich für ihn und sein Leben interessiere und wissen will, wie es mit dem Café läuft, wie er mit seinen Saxophonstunden vorankommt und was er gerade liest. Ich bin es, die ihn zum Üben zwingt und ihm ein Bad einlässt, wenn er

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