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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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nicht wusste, was ich anderes tun sollte.
    «Das weiß ich nicht genau», antwortete ich.
    ***
    Es war bereits sechs, als ich schließlich nach Hause kam. Bevor ich in Totnes losgefahren war, hatte ich versucht anzurufen, doch Christopher war nicht rangegangen. Dabei würde er doch wohl in der Lage sein, mit der linken Hand den Telefonhörer abzunehmen? Ich stellte mir vor, wie er ohnmächtig auf dem Boden lag, weil er zu viele Schmerztabletten genommen hatte, oder ganz allein im Bett, von fürchterlichen Qualen heimgesucht. Vielleicht hörte er aber auch einfach nur das Telefon nicht, weil das Hämmern seiner Verzweiflung zu laut war. Während ich über die Lanes zurückfuhr, entwickelte ich eine Art Sodbrennen, das sich anfühlte, als wollte ein Monster in meinem Innern sich einen Weg nach draußen fressen. Doch als ich die Haustür aufschloss, kam das einzige Hämmern von einem Hip-Hop-Beat, an den ich mich noch dunkel aus den frühen Neunzigern erinnerte.
    «Süßer?», rief ich. «Du glaubst ja gar nicht …»
    Christopher saß grinsend und im Takt wippend auf dem Sofa. Vor ihm auf dem Tisch lag mein Exemplar der Wissenschaft vom ewigen Leben . Ich konnte mich nicht entsinnen, es dorthin gelegt zu haben.
    «Hey, Babe», begrüßte er mich. «Ich hab einen neuen Fernsehsender entdeckt. Mit Old-School-Hip-Hop. Komm her und schau’s dir mit mir an. Das bringt die Erinnerungen zurück.»
    «Gut, ich werfe nur kurz den Wasserkocher an. Du glaubst nicht, was ich für einen Nachmittag hatte.»
    «Vielleicht kann ich ja das Wasser für dich aufsetzen? Du siehst todmüde aus.»
    «Nein, schon gut, ich mach’s. Willst du auch einen Tee? Hast du deine Schmerztabletten schon genommen? Falls nicht, lass es, ich hab dir nämlich Silberweidenrinde mitgebracht. Es hat ewig gedauert, sie zu finden, aber sie macht mir einen sehr guten Eindruck und …»
    «Danke, Babe. Ich hätte gern einen Tee, wenn dir das nicht zu viel ist, und dann nehme ich die neuen Tabletten. Du kümmerst dich so gut um mich. Tut mir leid, dass ich in letzter Zeit so ein Arsch war.»
    «Du warst doch kein …»
    «Doch. War ich. Ich denke schon den ganzen Nachmittag darüber nach. Es tut mir leid. Und ich habe das Buch gelesen, das Josh dir geliehen hat. Absolut irre. Wir werden alle ewig leben! Ich kann gar nicht fassen, dass du mir nichts davon erzählt hast, wobei … Wahrscheinlich hast du geglaubt, ich würde es eh nicht kapieren. Ich war ja bisher auch nicht so gut mit diesem naturwissenschaftlichen Zeug. Aber jetzt hat das Leben plötzlich wieder eine Perspektive. Ich glaube, in Zukunft lese ich mehr wissenschaftliche Bücher.»
    Auf dem Bildschirm deutete ein Mann im Jogginganzug auf eine große Uhr, die er um den Hals hängen hatte.
    «Ach ja?» Ich füllte Wasser in den Kocher. «Na so was.»
    «Ja. Weißt du, es ist so leicht zu glauben, dass das Leben total sinnlos ist. Ich glaube, ich habe dir das noch nie erzählt: Nach Mums Tod habe ich nachts immer furchtbare Schweißausbrüche gekriegt, bin eiskalt und zitternd aufgewacht und musste an dieses ganze schwarze Nichts da draußen denken. Als Kind dachte ich, nur die anderen würden sterben, ich aber nicht. Als ich dann älter wurde und gemerkt habe, dass das für jeden unausweichlich ist, und als ich auch noch mitgekriegt habe, wie es Mum passiert – das war so ein beschissener Schlag ins Gesicht, verstehst du? Aber mit dem Buch da fühle ich mich wieder wie ein Kind. Ich glaube, ich schreibe diesem Kelsey Newman und bedanke mich bei ihm. Er stellt die ganzen wissenschaftlichen Grundlagen auch so verständlich dar. Ich kann total nachvollziehen, wie aus dem zusammenbrechenden Universum so viel Energie entsteht, dass der Omegapunkt geschaffen wird. Das ist voll überzeugend. Nur das mit der Zweitwelt, das verstehe ich noch nicht. Hast du das neue Buch auch irgendwo? Oscar hat es dir doch geschickt, oder? Das würde ich schrecklich gern lesen.»
    «Tut mir leid, Süßer. Das habe ich gerade verliehen. Aber wenn ich es wiederhabe, bekommst du es gleich. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du dich so dafür interessierst, sonst hätte ich es natürlich für dich behalten.»
    Einen Moment lang blieb es still; dann fragte Christopher: «Wem?»
    Das Wasser kochte, und ich goss es in die Becher. Seit das Geld da war, hatte ich wieder angefangen, für jeden Becher einen Teebeutel zu nehmen anstatt nur einen für uns beide. Es machte mich wahnsinnig, dass Christopher solche Dinge einfach nicht

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