Das Ende der Geschichten (German Edition)
sondern auch nachgedacht.»
Er leerte das Glas in einem Zug. «Ach, nur so Zeug.»
«Und was für Zeug?»
«Ach, nur … Na ja, ich hab gedacht, wie gut alles eigentlich noch werden kann. Mit uns, mit der Zukunft und allem.»
«Und wieso denkst du so was?»
Anscheinend hörte er etwas in meiner Stimme, so wie B. vorher, denn er legte die Stirn in Falten.
«Ich hab’s eben einfach gedacht. Stimmt was nicht?»
Ich seufzte schwer. «Warum muss eigentlich immer irgendwas nicht stimmen?»
«Komm, Babe, jetzt mach dich mal locker. Du hattest einen anstrengenden Nachmittag draußen in der Kälte. Ich kümmere mich weiter um den Tee.»
«Nein, lass nur. Jetzt ist er ohnehin fertig.»
Ich nahm die Teebeutel aus den Bechern, schälte eine Mandarine und aß sie. Währenddessen erzählte mir Christopher, er habe gespürt, dass alles doch noch gut werden könne, weil er in der lokalen Gratiszeitung auf eine neue Stellenanzeige gestoßen sei, und dann habe Mick, sein Projektleiter, angerufen und ihm gesagt, wenn er sich darauf bewerben würde, hätte er sie sicher. Devon Heritage suchte Leute, um eine alte Burg an dem Küstenstreifen ganz in der Nähe wieder aufzubauen. Christopher hatte genau die richtigen Erfahrungen dafür, und Mick würde das Team leiten.
«Welche Burg ist das denn?», fragte ich.
Er sagte es mir, und ich hatte ein vages Bild vor Augen. Sie stand ganz in der Nähe von Torcross und war kaum mehr als eine Ruine. Wenn ich mich recht erinnerte, war sie auch schon immer eine Ruine gewesen, weil sie nämlich als solche erbaut worden war.
«Ist die nicht eigentlich künstlich?», erkundigte ich mich.
Im Süden Devons, vor allem rund um die Hafeneinfahrt von Dartmouth, gab es etliche solcher künstlichen Ruinen. Die echten Burgen waren mehrere hundert Jahre alt, doch die künstlichen Ruinen stammten fast alle aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Eigentlich interessierte ich mich nicht sonderlich für alte Bauwerke und Mauern, doch für künstliche Ruinen hatte ich eine Schwäche. Es waren komplett nutzlose Bauten, die an etwas Nützliches, Echtes erinnerten, beispielsweise an Wach- oder Leuchttürme. Manche Leute hatten sich sogar künstliche Ruinen in den Park ihres Landsitzes bauen lassen, um eine «historische Atmosphäre» zu erzeugen, und ich vermutete stark, dass diese spezielle Burg genau so etwas war. Woher ich das wusste, konnte ich nicht sagen, doch Libby hatte sich einmal ausführlich mit den Burgen von Devon beschäftigt, nachdem sie beschlossen hatte, in einer davon zu heiraten. Auch Ruinen hatte sie in Erwägung gezogen, da sie, wie sie das formulierte, ja selbst schon eine Ruine war und diese künstlichen Bauten in ihrer Extravaganz gut zu ihr passten.
«Nein, Babe», antwortete Christopher. «Es ist die Ruine einer echten Burg.»
«Ach so.»
«Ich würde ja schließlich nicht hingehen und eine künstliche Ruine wieder aufbauen, nicht?»
Ich zuckte die Achseln. «Warum denn nicht? Die haben doch auch ihre historische Bedeutung.»
Er lachte. «Red keinen Unsinn.»
«Was ist denn daran Unsinn? Findest du es nicht spannend, dass es Leute gab, die jede Menge Zeit und Geld investiert haben, solche Gebäude zu errichten, einzig und allein, um sich daran zu freuen oder etwas Besseres zu haben als die Nachbarn oder sich dem Gefühl hingeben zu können, in der Vergangenheit zu leben oder in einem Märchen oder so? Geschichte ist doch gerade deswegen interessant, weil sie uns etwas über die Menschen verrät. Und wenn du mich fragst, sind Leute, die künstliche Ruinen bauen, sehr viel spannender als Leute, die Burgen errichten.»
«Jetzt komm ich nicht mehr mit, Babe. Aber ist ja auch egal. Jedenfalls meint Mick, dass das mit der Mauer vom Timing her genau aufgeht. Wir könnten sie zusammen fertig machen und danach direkt mit der Burg anfangen, und wir würden auch endlich mal Geld dafür kriegen. Klar, es wäre nur eine befristete Stelle, falls ich sie überhaupt kriege, aber super für den Lebenslauf.»
Christopher redete weiter, und ich ließ meine Gedanken in andere Richtungen abschweifen. Soweit ich das überblickte, hatte er sich immer noch nicht dafür entschuldigt, dass er gegen die Wand geboxt und mich mitten in der Nacht durch halb Devon hatte fahren lassen, um dann im Krankenhaus unausstehlich zu sein und auf der Rückfahrt die ganze Zeit zu schweigen. Ich aß noch eine Mandarine und dachte an das Geld und daran, dass ich Christopher jetzt langsam wirklich davon
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