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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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beschäftigt. Es war erst ein Uhr, doch durch das Erkerfenster sah ich, dass der Himmel bereits von bleicherem Licht umsäumt war und sich darunter das dünne Band des Horizonts fast schwarz abhob. Dann folgte das graublaue Meer, das sich leicht kräuselte und schließlich in Spitzenrüschen an den Kiesstrand schwappte. Lange sah ich ihm dabei zu, wie es sich auf diese Weise an- und wieder auszog. Was wäre, wenn? , dachte ich im Einklang mit den Wellen. Was wäre, wenn?
    Etwa eine Stunde bevor ich zu Libby aufbrach, klappte ich mein Notebook auf. Sofort übertönte das Geräusch des Lüfters das sanfte Rauschen der Wellen von draußen. Ich meldete mich bei meinem Onlinebanking-Programm an und wählte die Option Überweisungen . Christophers Name stand gleich zuoberst, und ich überwies tausend Pfund auf sein Konto. Anschließend suchte ich auf der Website von Greenfibres nach Betten, und nachdem ich mich für eins entschieden hatte, machte ich mich daran, eine Antwortmail an Rowan zu schreiben.
    ***
    «Du hast was?», entfuhr es Libby.
    Wir standen in ihrer Küche, und vor uns auf der Arbeitsfläche lagen neun ganze Fische. Sie hatten Glupschaugen, und jeder einzelne sah aus, als hätte er gerade dazu ansetzen wollen, noch etwas Wichtiges zu äußern, als man ihn fing. In den offenen Mäulern steckten makellose Reihen winziger Zähne. Der Anblick machte mich ein bisschen fertig, und mir fiel wieder ein, warum ich vor einigen Jahren beschlossen hatte, vegan zu leben. Ich wandte mich ab. B. interessierte sich überhaupt nicht für die Fische. Sie hatte sich nicht davon abbringen lassen, ihren neuen Kauknochen mitzubringen; jetzt lag sie damit mitten in der Küche und machte den Eindruck, als hätte sie es richtiggehend eilig, damit zu Ende zu kommen. Ich drehte mich wieder zu den Fischen um. Libby betrachtete sie ebenfalls, das Messer in der Hand, unternahm jedoch nichts.
    «Ich habe ein Cottage gemietet», sagte ich. «In Torcross. Heute habe ich den ganzen Tag dort am Kamin gesessen und zugeschaut, wie das Meer herankommt und sich wieder zurückzieht. Das ist atemberaubend. Kennst du diese Felsen ganz am Ende vom Strand? Bei Ebbe sieht es aus, als würde ein Drache seinen knochigen Fuß ins Wasser halten, und man kann tatsächlich außen herum bis zur nächsten Bucht gehen. Das war mir gar nicht klar. Sonst bin ich immer nur mit dem Hund vom Parkplatz bis zum Mahnmal und wieder zurückgegangen.»
    «Dann hast du Christopher also verlassen?»
    «Ich weiß es nicht genau. Eigentlich wollte ich das Häuschen nur zum Arbeiten nutzen, aber vorhin hätte ich mir fast ein Bett bestellt. Ich habe es gestern kurz entschlossen angemietet, weil … ja, weil es eben da war und nicht feucht ist, einen offenen Kamin hat und ich mir so was plötzlich leisten kann. Christopher weiß nichts davon.»
    Libby kicherte. «Trinken wir was», schlug sie vor. «Warum habe ich mir die eigentlich nicht entgräten lassen?» Sie wedelte mit dem Messer über den Fischen herum.
    «Weil du sie im Ofen backen wolltest?», regte ich an. «Übrigens brauchst du gar nicht alle neun zu machen, weil Christopher nämlich nicht kommt. Was sind das denn für welche?»
    «Seebarsche.»
    «Steck sie in den Backofen.»
    «Meinst du?»
    «Aber unbedingt.»
    Libby holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. «Der müsste ganz gut sein», sagte sie. «Es ist ein schrecklich teurer Sauvignon, den ich hinter Bobs Rücken aus dem Laden mitgenommen habe. Oh, Mann. Ich weiß wirklich nicht, was zurzeit mit mir los ist. Natürlich gehören diese Fische in den Backofen. Das ist der beste Vorschlag überhaupt. Wozu will ich sie dann noch entgräten?»
    «Weil du eben so bist. Aber wir tun sie in den Backofen.»
    «Ja?»
    «O ja. Ich hatte einen schrecklichen Streit mit Christopher, und möglicherweise habe ich ihn tatsächlich verlassen. Da bin ich mir noch nicht so sicher, aber gleichzeitig denke ich darüber nach, eine Affäre anzufangen – die übrigens so oder so eine Affäre bleiben wird, selbst wenn ich Christopher verlasse, weil der … äh … andere nämlich auch gebunden ist. Ich bin also fürchterlich abgelenkt, und wenn ich in diesem Zustand einen Fisch filetieren soll, lasse ich wahrscheinlich die Hälfte der Gräten drin und habe hinterher Bobs Tante auf dem Gewissen. Und du siehst auch aus, als würdest du demnächst den Scharfrichter erwarten. Wo steckt denn Bob?»
    «Der ist noch im Laden.» Libby schenkte den Wein aus. «Also, erzähl mir

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