Das Ende der Geschichten (German Edition)
nicht albern.»
«Na, wie auch immer, Becca und ich sind immerhin die halbe Familie. Und die andere Hälfte spinnt. Es ist also unsere Pflicht, auf Dad aufzupassen und dafür zu sorgen, dass er sich nicht sein Leben ruiniert. Seit Mums Tod ist er sehr labil.»
«Und was erwartet ihr, dass euer Vater tut, während ihr beide, du und Becca, euer jeweiliges Leben lebt? Soll er einfach dasitzen und warten, bis du anrufst? Oder bis Becca ein paar Wochenenden im Jahr vorbeikommt, was sie ja meistens nicht mal seinetwegen tut, sondern weil sie herausgefunden hat, dass Ant wieder mal eine Londoner Bardame vögelt, oder Ant gemerkt hat, dass sie irgendeinem Kerl in Florida Nacktfotos von sich mailt? Und ansonsten soll er nur im Café arbeiten, abends allein vor dem Fernseher hocken und hoffen, dass sein langweiliges Leben bald mal wieder von einem der psychotischen Schübe deines Bruders unterbrochen wird?»
«Mein Vater geht dich überhaupt nichts an, ebenso wenig wie meine Schwester. Hätte ich dir das alles bloß nicht erzählt! Ich habe immer gewusst, dass du das eines Tages gegen mich verwenden wirst. Warum kannst du dich nicht einfach raushalten?»
«Wenn ich mich raushalten soll, dann erwarte du gefälligst auch nicht von mir, dass ich dich mitten in der Nacht aus dem Krankenhaus abhole, und pflaum mich nicht an, wenn ich das dann nicht so mache, wie du es dir vorstellst. Und bitte mich auch nicht nochmal, dir den Verband zu wechseln. Ich wünschte ja selber, ich hätte nichts mit den Problemen deiner Familie zu tun. Aber das ist nun mal nicht so, vor allem dann nicht, wenn du anfängst, auf Wände einzudreschen, weil du es schlicht und ergreifend nicht erträgst, dass dein Vater einen anderen Menschen liebt als dich oder deine tote Mutter.»
Christopher zog sich die Bettdecke wieder über den Kopf.
«Wie erwachsen von dir», bemerkte ich und rechnete halb damit, dass ihn das vielleicht zum Lachen bringen würde, wusste aber auch nicht, wie ich dann darauf reagieren würde.
«Verpiss dich.»
«Gut. Von mir aus. Dann gehe ich jetzt. Nach der Abendeinladung bin ich dann wieder da.»
Schweigen.
«Christopher?»
«Mach doch, was du willst», sagte er.
***
Der Tag war im Eimer – zumindest hätte er das sein müssen. Aber in gewisser Weise war er sowieso schon von Anfang an im Eimer gewesen. Als ich Dartmouth in Richtung Warfleet verließ und an der Straße zur Burg und zu Rowans Haus vorbei nach Little Dartmouth fuhr, fühlte ich mich ganz ruhig. Der Himmel hatte die Farbe von Kopfsteinpflaster angenommen. Ich durchquerte Stoke Fleming und fuhr am Zugang zu Blackpool Sands vorbei, wo ich morgens oft mit B. spazieren ging. Während wir uns dem Strand näherten, ließ sie ihr gewohntes Winseln hören und hechelte dann das ganze Rückfenster voll, als wir daran vorbeifuhren. Wahrscheinlich würde sie bald merken, dass wir nach Slapton Sands fuhren, konnte aber natürlich nicht ahnen, wie lange wir dort bleiben würden. Die Straße schlängelte sich an Felsen entlang durch Strete hindurch und wurde an der anderen Seite von einer improvisierten Steinmauer begrenzt, hinter der Akazienbäume und wilde Primeln wuchsen und rosige Schafe auf den Feldern grasten. Dann bog der Fahrweg jäh um die Kurve und verlief bergab, und kurz darauf war ich auf der geraden Straße, die zwischen Slapton Sands auf der linken und Slapton Ley auf der rechten Seite hindurchführte. Am Ende lag das Dorf Torcross wie der Kopf einer Kaulquappe. Ich hielt neben dem Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg und ging dann über die Strandpromenade zum Seashell Cottage. Den Schlüssel im Schloss zu drehen fühlte sich an wie ein erster Atemzug, nachdem man lange Zeit unter Wasser gewesen war. Sollte Christopher doch den ganzen Tag vor sich hin schmoren und sieden. Ich würde frühestens um Mitternacht nach Hause kommen. Vielleicht ging ich auch gar nicht mehr zurück – oder nur noch einmal, um meine Sachen abzuholen. Da war ich mir nicht sicher.
Der Tisch vor dem Erkerfenster lud geradezu ein, sich daran zu setzen und über das weitere Leben nachzudenken. Er war natürlich vollkommen leer. Hinter ihm sah ich nur die gelben und blauen Streifen von Strand, Meer und Himmel, die hier und dort von sich bewegenden Punkten unterbrochen wurden: Seevögeln, die eifrig beim Fischfang waren. Doch ich konnte mich nicht dazu durchringen, mich dorthin zu setzen. Wenn ich das jetzt tat, wo es so viel Leben zu bedenken gab, fürchtete ich, dass ich einfach bis in
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