Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
Sascha.
    «Oh, Mum, hör bloß auf», warf Bob ein. «Von so was kriege ich ja einen Knoten im Gehirn.»
    «Genau deshalb haben wir bei ihm auf eine religiöse Erziehung verzichtet», sagte Conrad zu Mark. «Wir wussten, dass er mit der paradoxen Seite nicht klarkommen wird. Robert ist ein sehr geradliniger Denker.»
    «Jetzt komme ich mir vor, als wäre ich drei Jahre alt», sagte Bob. «Vielen Dank auch.»
    «Ich komme mit Paradoxa auch nicht gut zurecht», gestand Rowan. Er sah mich an. «Kennst du diesen Freund von Frank und Vi – den Philosophen, der Paradoxa auflöst?»
    Ich musste lachen. «Nein. Großer Gott. Das klingt ja ziemlich schräg.»
    «Ich dachte, Paradoxa kann man nicht auflösen», meinte Libby. «Ist das nicht der springende Punkt daran?»
    «Deine Frau ist einfach schlauer als du», sagte Conrad zu Bob. «Das habe ich immer schon gesagt.»
    «Bitte, Dad.»
    «Ich kenne einen Künstler, der Paradoxa sammelt», erzählte Sascha. «Jedes Mal, wenn er eines findet, spießt er es mit einer Stecknadel auf und steckt es in einen Glaskasten, so wie Schmetterlinge.»
    «Wenn er eines findet?», fragte ich. «Liegen die denn einfach so herum?»
    «Womöglich war das eine Metapher. Und es kann auch sein, dass er gar keine Glaskästen hat. Ich glaube, wir waren nicht mehr ganz nüchtern, als wir darüber geredet haben.»
    Conrad runzelte die Stirn und trank seinen Wein aus. Er goss sich ein weiteres Glas ein und schenkte auch allen anderen nach.
    Rowan lachte. «Also, ich habe noch nie ein Paradoxon gefunden.»
    «Wart’s ab», sagte Libby mit düsterem Lächeln.
    Verflixt. Sie wusste Bescheid.
    «Das ist gut», sagte Sascha. «Es ist gut, dass wir jetzt darüber reden, weil es mir nämlich immer viel zu peinlich war, ihn zu fragen, was Paradoxa eigentlich sind. Jetzt kann mir das ja vielleicht jemand von euch erklären: Was genau ist ein Paradoxon?»
    «Eine Aussage, die sich selbst negiert», erwiderte Mark.
    «Zum Beispiel?»
    «Alle Kreter sind Lügner», antwortete ich. «Das ist paradox, wenn es aus dem Mund eines Kreters kommt.»
    «Eines Kretins?»
    «Nein, Mum, eines Kreters», erläuterte Bob. «Das ist jemand, der auf der Insel Kreta lebt.»
    «Aber wieso das denn?»
    «Wahrscheinlich, weil die alten Griechen das erfunden haben.»
    Conrad hob lachend den Kopf. «Sie mag ja schlau sein», sagte er und deutete auf Libby, «aber mein Sohn ist auch nicht blöd. Sie passen perfekt zusammen. Aber so oder so ist ein Paradoxon doch mehr als nur eine sich selbst negierende Aussage.»
    «Meistens ist es so, dass man etwas dazu verwendet, sich selbst ad absurdum zu führen», versuchte ich mühsam zu erklären. «Beispielsweise das Sorites-Paradox. Man nimmt von einem Haufen Steine einen weg und fragt jemanden, ob der Haufen immer noch ein Haufen ist. Natürlich wird der Befragte mit Ja antworten. Dann nimmt man einen weiteren Stein weg und fragt wieder nach. Immer noch ein Haufen. Ab welchem Punkt ist es dann aber kein Haufen mehr? Irgendwann ist nur noch ein Stein übrig, und da es keine klare Definition von ‹Haufen› gibt, kommt man am Ende zu dem Schluss, dass auch der einzelne Stein noch ein Steinhaufen sein muss.»
    «Aber damit beweist man doch eigentlich nur, dass ein bestimmtes Wort nicht klar definiert ist», wandte Rowan ein. «Es zeigt den Unterschied zwischen einem Abstraktum und einem Konkretum auf.»
    «Ja, zugegeben, das war kein besonders tolles Beispiel. Aber die ganze Wissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts beruht doch auf Paradoxa. Der Gödel’sche Unvollständigkeitssatz, die Heisenberg’sche Unschärferelation … Und dann ist da auch noch das Fiktionsparadoxon oder das Paradox der Fiktion. Warum bekommen wir Angst, wenn wir beispielsweise eine Geistergeschichte lesen, wo wir doch wissen, dass es nur eine Geschichte ist? Wie kann Fiktion überhaupt emotionale Auswirkungen auf uns haben, wo wir doch wissen, dass sie nicht real ist? Und warum reagieren wir, wenn wir ein Buch ein zweites Mal lesen oder einen Film zum zweiten Mal sehen, immer noch mit denselben Gefühlen wie beim ersten Mal?»
    «Das ist aber kein Paradox», widersprach Rowan. «Das ist einfach nur das Leben.»
    «Mein Lieblingsparadoxon ist das mit dem Esel und den Heuballen», sagte Conrad. «Es besagt, dass ein Esel, der sich zwischen zwei identischen Heuballen entscheiden soll, welche beide genau gleich weit von ihm entfernt sind, nicht in der Lage ist, eine rationale Entscheidung zu treffen, und deshalb

Weitere Kostenlose Bücher