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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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demonstrierte, wie man die Kindersicherung aufbekam.
    «Hm», machte meine Mutter. «Ich habe Torten gegessen, nachdem ich deinen Vater verlassen hatte. Daran erinnerst du dich wahrscheinlich noch, du hast sie auch immer gern gemocht. Ich hatte so ein Gefühl, dass ich einfach tun kann, was ich will, ohne dass er mich ständig kritisiert. Er hatte immer etwas gegen Torten. Käse, Wein, Fleisch, Salz, das war alles in Ordnung – nur Torten nicht. Wahrscheinlich, weil sie so weiblich besetzt sind. Er konnte Torten nicht leiden, weil sie sinnlich und sahnig und üppig sind – und wahrscheinlich auch, weil ich sie mochte. Er aß selbst nicht gern Süßes, und da ist ja auch nichts dabei; nur hat er automatisch jeden verachtet, bei dem das anders war. Ich weiß noch, wie ich einmal nebenan bei Maddy Cooper war. Es gab Tee und süße Teilchen, diese kleinen zarten Dinger aus einer bestimmten Patisserie in London. Es gab irgendetwas zu feiern; was, weiß ich schon gar nicht mehr. Wir tranken Earl-Grey-Tee aus feinen Porzellantässchen und aßen die Teilchen dazu, und dein Vater kam herein, um Caleb ein Buch zu bringen, und er sagte … Mein Gott, ich weiß es noch ganz genau … Er sagte: ‹Na, schlagt ihr zwei euch schon wieder den Bauch voll?› Was für ein Idiot! Und Rosa, die süße kleine Rosa, die damals vielleicht zehn gewesen sein muss, sagte ganz ernst: ‹Das war jetzt aber gemein, Mr. Carpenter.›»
    Meine Mutter schwieg. Mir lag der Hinweis auf der Zunge, dass Rosa immer schon dazu tendierte, das auszusprechen, was andere nur dachten, aber nicht äußern wollten, und zwar häufig auch mit gutem Grund. In dieser Hinsicht ähnelte sie einem Papagei oder einem Kleinkind. Doch ich schwieg, denn jetzt hörte ich, wie meine Mutter am anderen Ende der Leitung anfing zu weinen.
    «Meg», sagte sie schluchzend. «Ich würde dir das ja gern schonender beibringen, aber eigentlich hatte ich angerufen, um dir zu erzählen, dass Rosa tot ist. Sie hat sich gestern das Leben genommen. Die Zeitungen sind voll davon.»
    ***
    Im Dorfladen gab es frisches Brot und kleine Töpfe mit Basilikum. Ich kaufte beides, dazu noch einen kleinen Block Bienenwachs und weitere Zitronen. Außerdem erstand ich alle überregionalen Zeitungen, die der Laden vorrätig hatte. Während ich nach ihnen griff und die Schlagzeilen las, zitterte ich am ganzen Körper. Offensichtlich inspiriert von Anna Karenina , hatte Rosa sich vor einen Zug geworfen.
    «Da haben Sie aber viel zu lesen», bemerkte die Frau an der Kasse.
    «Ja», sagte ich. Auf dem Ladentisch standen weitere Blumentöpfe mit Hyazinthen. Einige blühten bereits: rosa, violett und blau. Ich wählte eine mit fest verschlossenen grünen Knospen aus. Man konnte unmöglich sagen, welche Farbe sie haben würde. «Kann ich die auch noch mitnehmen?»
    «Die kosten zwei fünfzig das Stück», erwiderte die Frau.
    «In Ordnung», sagte ich.
    Zurück im Haus, stellte ich die Hyazinthe in der Küche auf das Fensterbrett, machte Feuer im Kamin und verbrachte den Rest des Vormittags mit den Zeitungen. B. lag so ruhig vor dem warmen Feuer, als wäre nie auch nur ein Mensch auf Erden gestorben. Der Schauplatz von Rosas Selbstmord war ein Bahnhof, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, und es gab keine Zeugen, zumindest hatten sich bisher noch keine gemeldet. Rosa und Drew waren gerade von einem gemeinsamen Wochenende auf dem Land zurückgekehrt, als sie sich umbrachte. Drew war noch viel zu erschüttert, um sich dazu zu äußern. Letztlich war aus den Zeitungen also nicht allzu viel zu erfahren, doch ich betrachtete jedes einzelne Foto von Rosa, las jeden einzelnen Nachruf und stellte mir vor, wie all die Reporter auf Drew niedergingen wie die Aasgeier.
    Nachdem ich mir eine Pasta mit Olivenöl, Basilikum und etwas Brot zum Mittagessen gemacht hatte, begab ich mich im Internet auf die Suche nach Möbeln. Ich schaute mir das Bett noch einmal an, für das ich mich am Samstag entschieden hatte. Es war frühestens in einem Monat lieferbar. Aber ich konnte doch nicht einen Monat lang auf dem Sofa schlafen? Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben Möbel gekauft. Wenn ich sie jetzt online bestellte, würden sie dann von starken Männern mit großen Lastwagen gebracht? Musste ich sie womöglich selber zusammenbauen? Plötzlich war mir das alles viel zu kompliziert, und die Lider wurden mir schwer. Aber ich zwang mich, wenigstens noch das Nötigste zu bestellen, bevor ich den Computer wieder ausmachte.

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