Das Ende der Geschichten (German Edition)
Neben mir stapelten sich die Bücher für meinen Artikel. Ich nahm den Atlas der Astralebene zur Hand und musste erneut gähnen. Nachdem ich mich aufs Sofa gelegt hatte, schaffte ich gerade noch den ersten Absatz, dann fielen mir die Augen zu. Ich zog die Decke bis zum Kinn und schlief ein.
***
«Oh, bestens», sagte Rosa. «Ich wollte dich ohnehin anrufen.»
Es war ein ausgesprochen bizarrer Traum, der mir zugleich real und nicht real erschien. Ich wusste in diesem Traum, dass ich auf dem Sofa lag und schlief, war aber auch der Überzeugung, das Buch über die Astralebene bereits zu Ende gelesen zu haben. Unter anderem hatte es mir dazu geraten, mit den Verstorbenen zu kommunizieren. Und ich hatte aus dieser Traumlogik heraus beschlossen, eine Séance mit dem einzigen Menschen aus meinem Umfeld abzuhalten, der gestorben war – besten Dank, Rosa! So kam es, dass wir uns jetzt unterhielten.
«Mich?», fragte ich sie. Wir standen inmitten einer endlosen, leeren Landschaft, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte, wenn ich in meinen Newtopia-Romanen den Raum zwischen den Zellen des Mobilfunknetzwerks beschrieb. Sie war gekleidet wie eine Krankenschwester, ich trug wie immer Jeans. Anfangs wurde die Astralebene immer wieder unscharf und knisterte bedenklich, doch dann verfestigte sie sich zu einem traum-haften Hyazinthenblau.
«Ja. Schließlich bist du so ziemlich die Einzige in meiner Bekanntschaft, die nicht prominent ist. Nicht böse sein.»
Ich dachte mir – und es war nicht das erste Mal, dass ich mir so etwas beim Träumen dachte –, dass dieser Traum einen richtig guten Eintrag für ein Traumtagebuch abgeben würde. Dann stellte ich mir vor, dass mir jemand, beispielsweise Joshs Therapeutin oder einer der Verfasser der Esoterik-Bücher aus dem Postsack, erklärte, wie bedeutsam das sei. Außerdem dachte ich mir, ebenfalls im Traum, wie froh ich war, nicht in Therapie zu sein.
«Weißt du, ich bin nämlich gar nicht tot», fuhr sie fort. «Du kannst Drew anrufen und ihn fragen.»
«Ich habe seit sieben Jahren nicht mehr mit Drew gesprochen», sagte ich.
«Ich kann schon verstehen, warum du ihn abserviert hast», meinte Rosa. «Der ist ja so was von egoman.»
«Ich habe ihn wegen einem anderen verlassen», erklärte ich. «Und ich fand ihn immer sehr nett. Ich war nur einfach nicht Hals über Kopf in ihn verliebt, habe mir aber eingebildet, ich wäre Hals über Kopf in seinen Freund verliebt. Was soll das heißen, du bist gar nicht tot?»
«Ich bin nicht tot. Ich bin in Hertfordshire.»
«Aber wenn du nicht tot bist, wieso kann ich dann mit dir reden?»
«Das ist mit Abstand die blödeste Frage, die ich jemals gehört habe. Und das will was heißen.»
«Aber wenn du nicht tot bist, dann … Ich meine, alle Zeitungen halten dich für tot.»
«Wir hatten einen Riesenstreit», sagte Rosa. «Drew und ich. Wegen Stanislawskis Überaufgabe. Und dann habe ich eben so getan, als würde ich mich umbringen.»
Rosa erzählte noch eine Zeit lang weiter von diesem Streit. Dann wurde ihre Stimme plötzlich schwächer, und ich sah, wie sie an einem verlassenen Bahnhof aus dem Zug stieg, sich auf eine Bank setzte und eine andere Frau beobachtete, die am Bahnsteig auf und ab ging. Als der nächste Zug kam, warf die andere sich davor.
«Ich habe Drew überredet zu sagen, dass ich es war», sagte Rosa. «Jetzt kann ich endlich mit Caleb zusammen sein.»
***
Als ich am nächsten Morgen die Zeitungen holen ging, traf ich Andrew Glass. Ich hatte Rühreier mit Toast und eine große Tasse Kaffee gefrühstückt, fühlte mich aber trotzdem nicht richtig wach. Der seltsame Traum vom Nachmittag zuvor hatte mich ziemlich durcheinandergebracht. Ich hatte mich die halbe Nacht hindurch nicht getraut, wieder einzuschlafen, und stattdessen die Volkslieder von Iris Glass auf der Gitarre gespielt. Es war nun ein wenig diesig, doch der bärtige Mann stellte bereits wieder sein Stativ vor der Felswand auf. Von der Frau mit der Tochter und dem Paar, das ich mit Vi und Frank verwechselt hatte, war nichts zu sehen.
«Wie geht’s dir denn da drüben?» Andrew deutete mit dem Kopf zum Cottage hinüber.
«Oh, wunderbar. Es ist so friedlich.»
«Also keine seltsamen Träume?»
«Was?»
«Komische Träume.» Er lachte. «Oder etwa doch?»
«Wie kommst du denn darauf?»
«Ach Gott … Ich habe da drinnen nie schlafen können wegen der Träume. Das kommt von der vielen Hexerei. Die bleibt hängen, weißt du, so wie Kochgerüche.
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