Das Ende der Geschichten (German Edition)
ebenfalls recht unwahrscheinlich ist.»
Vi lachte. «In einem endlos langen Zeitraum würde doch mindestens ein unendlich langlebiger Affe tatsächlich irgendwann zu Shakespeare werden. Stellt euch das mal vor. Abgesehen davon», setzte sie hinzu, «war ich mir mit Ihren philosophischen Zombies nicht ganz sicher.»
«Ach», sagte Tony. «Dabei fand ich die wirklich gut.»
«Ja, ich auch», erwiderte Vi lachend. «Ich fand die Vorstellung wunderbar, dass dieses Wesen, der philosophische Zombie, eine rein hypothetische Lebensform ist – das allein ist ja schon ein großartiges Paradoxon. Eine Lebensform, die nicht lebt. Und mir hat auch gefallen, dass dieses Wesen einem erzählen kann, es empfinde Schmerz, obwohl das gar nicht der Fall ist, man aber weder das eine noch das andere je verifizieren kann. Die Vorstellung, dass jeder von uns so ein philosophischer Zombie sein könnte, ist ausgesprochen beängstigend und bringt einen ziemlich ins Nachdenken – vorausgesetzt natürlich, man ist letztlich kein philosophischer Zombie. Denn die eigentliche Krux bei dieser Sorte Zombie ist ja, dass er darauf programmiert wurde, menschlich zu reagieren, obwohl er gar kein Mensch ist. Ein Außenstehender würde den Unterschied sicherlich nicht merken, und der Zombie selbst spürt, denkt und weiß im Grunde gar nichts. Ich habe mich dann allerdings Folgendes gefragt: Wie soll so ein philosophischer Zombie denn eigentlich einen Roman schreiben können?»
Das war eine gute Frage. Tonys Argumentation fußte zum Großteil auf der Annahme, dass man, wenn man doch noch nicht einmal mit Sicherheit sagen könne, ob jemand – beispielsweise der Autor eines Romans – nicht ein philosophischer Zombie sei, erst recht nicht entscheiden könne, was er mit seiner Geschichte ‹eigentlich› gemeint habe, nicht einmal, wenn man ihn fragte und es von ihm selber hörte.
«Ich glaube», sagte Tony, «dass so ein philosophischer Zombie durchaus einen Roman schreiben könnte. Ich meine, wenn wir davon ausgehen, dass ein solches Wesen tatsächlich darauf programmiert ist, genauso zu reagieren wie ein Mensch, müsste doch auch ein Roman dabei herauskommen können, wenn es eine größere Anzahl Gefühlsäußerungen und Ähnliches aneinanderreiht. Vielleicht könnte es ja auch diese Gleichung von Lévi-Strauss dafür verwenden oder das Schema von Wladimir Propp. Allerdings …»
«Ja …?»
«Sie haben schon recht. Wenn Sie damit meinen, dass dabei bestimmt kein besonders guter Roman herauskommen würde, dann haben Sie recht. Darüber hatte ich bisher noch gar nicht nachgedacht. Im Grunde sagen Sie also, dass im Kern eines jeden Kunstwerks eine Essenz des Menschlichen stecken muss?»
«Genau», antwortete Vi. «Wobei ich gar nicht behaupten will, dass man sich jemals sicher sein kann, worin die besteht. Man kann sie nicht immer vollkommen dingfest machen, aber rein wissenschaftlich gesehen, muss sie vorhanden sein. Ha! Das ist genau wie mit dem Bewusstsein und der dunklen Materie und der sogenannten Kultur. Ihr Geisteswissenschaftler – wenn ich das mal so pauschal sagen darf – habt vor allem das Problem, dass ihr, wenn ihr euch mal an Naturwissenschaften versucht, grundsätzlich danebenliegt. Oder zumindest fast immer. Aber das macht nichts. Naturwissenschaftler liegen auch meistens daneben, das ist allerdings auch ihre Aufgabe: Sie wollen Irrtümer aufdecken. Nur dazu ist die Wissenschaft da. Sozialwissenschaftler beweisen wahrscheinlich auch immer nur, was an der Gesellschaft falsch ist. Zu beweisen, dass etwas hundertprozentig stimmt, das ist unmöglich. Kriege ich noch mal die Oliven?»
***
Als ich am Mittwochmorgen in Torcross erwachte, glomm das Feuer immer noch wie verzaubert im Kamin. Ich legte ein weiteres Holzscheit hinein, und nachdem die Flammen sich seiner bemächtigt hatten, machte ich mir einen Hagebuttentee und aß einen Toast mit zerquetschter Banane. Als ich den Computer aufklappte, wartete eine Mail von Oscar auf mich: Sag mal, willst Du eigentlich, dass ich einen Herzinfarkt kriege? Nicht nur, dass Du viel zu früh abgibst, Dein Artikel ist auch noch richtig gut. Genauer gesagt ein Geniestreich. Er ist witzig und außerdem noch hochaktuell, wenn man all den Ökonomen glaubt, die behaupten, der westliche Kapitalismus sei in Gefahr und wir müssten unsere Kleider demnächst selber nähen, weil die Ausbeutungsbetriebe in China alle zumachen werden (lies Dir mal den Nachrichtenteil von Sonntag durch, dann weißt Du,
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