Das Ende der Geschichten (German Edition)
ein Paar Socken stricken. Wenn wir unsere Abhängigkeit von der Ratgeberbranche und der daran gekoppelten Welt voller Dramatik und Unterhaltung rund um die Uhr nicht endlich aufgaben, schrieb ich, und uns nicht unsere alten Fähigkeiten und Hobbys zurückeroberten, liefen wir Gefahr, zu fiktiven Figuren zu werden, die keinen anderen Zweck erfüllten, als andere zu unterhalten und dabei emotional, ästhetisch und psychologisch sauber und ordentlich zu bleiben. Wir würden zu kulturellen Varianten von König Midas werden: unberührbar und ohne jedes Gefühl. Unser Begehren würde sich nur noch auf Dinge richten, die sich nützlich und passend in unseren jeweiligen Handlungsverlauf einfügen: auf ein Paar Schuhe, ein neues Sofa oder einen Fitnessraum für zu Hause. Und falls das nicht funktionieren sollte, hätten wir noch zahllose weitere Möglichkeiten, uns durch CD- und DVD-Sammlungen, Videospiele und vor Zucker und Fett triefende Fertiggerichte wieder freizukaufen. Wir wären kaum mehr als wandelnde Entwicklungskurven, es gäbe in unserem Leben kein anderes Ziel, als in den zweiten und dann in den dritten Akt zu gelangen und schließlich zu sterben. Als ich ihn jetzt wieder las, war ich mir nicht mehr ganz sicher über meinen Artikel. Bot ich darin nicht selber nur einen weiteren simplen Ausweg an? Aber vielleicht spielte das bei einem Zeitungsartikel ja keine so große Rolle, und immerhin hatte ich die Gelegenheit genutzt, ein paar schöne und nicht besonders bekannte Bücher zu erwähnen. Ich fing noch einmal von vorne zu lesen an, diesmal nicht aus der Perspektive eines Menschen, der den Artikel bereits kannte und ihn gut fand, sondern aus der meines schärfsten Kritikers. Letztlich hatte ich doch kein einziges der albernen, aber gutgemeinten Bücher einbezogen; ich hatte mich nur auf die leichten Ziele gestürzt. War ich dadurch nicht ebenso verlogen wie alle anderen? Aber vielleicht las Vi den Artikel ja und erkannte, dass ich zumindest versucht hatte, authentisch zu sein.
Ein paar Minuten später bekam ich eine Mail von Paul: Bravo! Toller Artikel! Da weiß ich doch wieder, warum ich so an meiner Modelleisenbahn hänge und viel lieber auf dem Land spazieren gehe, als mich mit Anzeigenkunden zu treffen! Willst Du eine wöchentliche Kolumne? Jede Woche ein anderes Hobby + ein entsprechendes Buch (von mir aus auch eine CD oder eine DVD, ganz, wie Du willst – kommt ins allgemeine Feuilleton, nicht in den Literaturteil). Persönlicher Stil, 1. Person, und wenn ein paar von den Hobbys Mist sind, ist das auch okay. Probier einfach ein bisschen rum. 600 Wörter pro Woche, 1 £ pro Wort. Zusage bitte schnellstmöglich. Gruß, P.
Eigentlich wollte ich aus der Mittagsverabredung mit Rowan keine zu große Sache machen. Trotzdem hängte ich jetzt meine einzige saubere Jeans, ein T-Shirt und meine Lieblingsjacke innen an die Badezimmertür, nahm ein langes, heißes Bad, rasierte mir die Beine und zupfte mir die Augenbrauen. Während der Wasserdampf meine Kleider glättete, lag ich in der Wanne, dachte über meine neue Kolumne nach und überlegte, was für Hobbys ich in den nächsten paar Wochen abhandeln sollte. Was würde Rowan wohl dazu sagen, wenn ich ihm davon erzählte? Als das Wasser langsam kalt wurde, trocknete ich mich ab und zog mich an. Die Badewanne war ein Schlachtfeld. Sie sah fast so schlimm aus, als hätte B. gerade ihr jährliches Bad über sich ergehen lassen: neben den Resten des Schaumbads, das ich verwendet hatte, klebten überall an dem alten Emaille Bein- und Augenbrauenhärchen. Im Schlafzimmer lagen die vielen Einzelteile des Bettes immer noch so da, wie ich sie zurückgelassen hatte. Als ich tags zuvor mit der Bauanleitung und den Schraubenziehern dazwischensaß, hatten die Teile wenigstens noch eine Art Sinn ergeben. Doch jetzt erschien mir das ganze Zimmer wie ein einziges Chaos, als würden all diese Holzteile nicht darauf warten, zu etwas zusammengesetzt zu werden, sondern als wären sie die Trümmer von etwas Zerbrochenem.
***
Rowan wartete bereits, als ich das Lucky’s betrat, ich bemerkte ihn jedoch zunächst nicht. Früher hatten wir uns immer an den schönsten Tisch gesetzt, der am Fenster im Erker stand, von wo aus wir die Leute beobachten konnten, die draußen vorbeigingen und zu uns hereinschauten. Dieser Tisch war zwar frei, doch Rowan saß am anderen Ende des Lokals, mit dem Rücken zur Tür. Ich ging zu ihm hinüber.
Es war eine Minute nach eins.
«Ist hier noch frei?»,
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