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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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es nur wenige Dinge sind: als hätte mir jemand eine unbezahlbare Antiquität in die Hand gedrückt und mir befohlen, sie fünf Stunden lang ruhig festzuhalten. Bei meinem letzten Ausflug nach Totnes hatte ich mir ungebleichte biologische Wolle und ein Nadelspiel aus Bambus gekauft – vier Stricknadeln mit Spitzen an beiden Enden – und dazu noch eine süße kleine Reißverschlusstasche, in der ich mein Socken-Strickzeug transportieren wollte. Die Nadeln sahen eigenartig aus, wie Cocktailspießchen für Riesen. Ich wollte mich an Iris Glass’ Strickmuster versuchen und meine zweite Kolumne darüber schreiben, und da Libby meinte, es sei so schwierig, konnte es nichts schaden, gleich damit anzufangen.
    Um Socken zu stricken, muss man zunächst auf einer der Nadeln aus dem Nadelspiel ein paar Maschen anschlagen und diese dann auf zwei andere Nadeln verteilen, bis man so eine Art zeltartiges Dreieck hat, wobei natürlich keine Masche «verdreht» sein darf. Ich wusste nicht genau, was damit gemeint war, doch bisher hatten sich Iris’ Instruktionen immer irgendwann als sinnvoll erwiesen, wenn auch häufig erst während der konkreten Umsetzung. Und so holte ich mir eines Abends, als die Sonne untergegangen war und das Feuer im Kamin prasselte, zwei Flaschen Beast bei Andrew und machte mich ans Werk. Ich hatte bereits ein Muster vorgestrickt, das ich anschließend abgekettet hatte und jetzt als Untersetzer verwendete. Meine Wolle ergab sechs Maschen auf zweieinhalb Zentimeter, und anhand von Iris’ Tabelle ermittelte ich, dass ich für eine «mittlere Erwachsenensocke» mit dieser Wolle zweiundfünfzig Maschen anschlagen und sie dann so auf die anderen Nadeln verteilen musste, dass die erste und die letzte je siebzehn und die mittlere achtzehn Maschen abbekam. Das erforderte einiges Herumprobieren. Ich hatte keine Ahnung, welche Nadel die «erste» und welche die «letzte» sein sollte, bis ich es ausprobierte, falsch machte, erneut nachlas, dass die Wolle wie ein Rattenschwanz zwischen den Nadeln baumeln musste, und es dann noch einmal probierte.
    Um einen Schlauch zu stricken – und etwas anderes ist eine Socke ja im Grunde nicht, bis man die Ferse erreicht hat und die Strickarbeit wenden muss, um zum Fuß zu kommen –, strickt man einfach sämtliche Maschen der Nadel mit dem jeweils aktiven Faden auf eine freie Nadel ab. Ein bisschen erinnerte mich das ans Jonglieren, das ich mir vor Jahren auch aus einem Buch beigebracht hatte. Beim Jonglieren muss man immer nur daran denken, den Ball aus der Hand hochzuwerfen, mit der man den nächsten fangen will. Sockenstricken erwies sich als merkwürdig ähnlich. Gegen Mitternacht hatte ich meinen Rhythmus gefunden und sieben Reihen in einem Zwei-rechts-zwei-links-Rippenmuster gestrickt. Dann ging ich zu glatten rechten Maschen über, um mit dem Socken-Schlauch voranzukommen. Meine Socke sah tatsächlich wie der Anfang einer Socke aus! Ich konnte es selbst kaum glauben. In dieser Nacht ging ich schlafen, ohne das Handy neben mich aufs Kissen zu legen, und am Morgen konnte ich mich kaum erinnern, wo ich es deponiert hatte. Rowan hätte mir die ganze Nacht über eine SMS nach der anderen schreiben können, ich hätte es nie erfahren.
    Doch als ich das Handy endlich fand, war es völlig SMS-frei. Ich rief Libby an.
    «Du rätst nie, was ich gerade mache», sagte ich.
    «Bobs Onkel vögeln?»
    «Libby!»
    «Entschuldige.»
    «Kannst du mal damit aufhören?»
    «Okay, okay.»
    «Also, rat nochmal.»
    «Kochst du etwa Rhabarbermarmelade für den Laden ein? Nein, bestimmt nicht. Es fragen allerdings alle danach, seit der Frührhabarber da ist.» Libby seufzte. «Dieser verflixte Laden. Die Leute interessieren sich alle nur fürs Essen. Aber es muss doch noch etwas anderes im Leben geben, als sich mit gutem Essen vollzustopfen und vor dem Fernseher immer fetter zu werden.»
    «Alles klar mit dir?», fragte ich.
    «Ich sitze wieder mal total, aber total, in der Scheiße. Ich wollte dich heute sowieso noch anrufen. Hast du mittags schon was vor?»
    «Nein, warum?»
    «Dann komme ich zu dir. Wollen wir uns im Foghorn treffen? Anschließend kannst du mir ja dein neues Haus zeigen.»
    «Na klar.»
    ***
    Weil Libby «mittags» nicht genauer spezifiziert hatte, ging ich um Viertel nach zwölf mit meinem Strickzeug ins Foghorn hinüber und setzte mich vor den Kamin, um dort auf sie zu warten. Andrew brachte mir ein halbes Pint Bier und einen rosa Strohhalm.
    Er lachte, als er mir den

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