Das Ende der Geschichten (German Edition)
halbwegs vernünftigen Gedanken fähig war. Sie rollte sich schnarchend auf die andere Seite.
«Habe ich euch schon mal von den Goldfischen erzählt, die vor Jahren aus dem Teich meiner Mutter verschwunden sind?», fragte Frank. «Genau die Hälfte der Fische war auf einmal weg. Und eine Woche später waren sie alle wieder da. Die Einzelheiten erspare ich euch jetzt, aber wir waren uns jedenfalls ganz sicher, wie viele von ihnen verschwunden waren. Erklären konnten wir uns das nicht, sosehr wir es auch versucht haben. Jeder in der Familie kam mit Theorien über Außerirdische und Fischteich-Poltergeister daher. Es war sehr lustig. Und meine Schwester hatte die wildesten Theorien überhaupt.»
«Und was war passiert?»
«Am Ende hat sich herausgestellt, dass meine Schwester dahintersteckte. Wir hatten nach natürlichen oder übernatürlichen Gründen gesucht, weil wir uns einfach nicht erklären konnten, aus welchem Motiv heraus jemand so etwas tun würde. Doch am Ende war die Erklärung ganz simpel. Sie wollte uns einen Schrecken einjagen, weil wir sie wegen ihrem neuen Freund aufgezogen hatten.»
Mein Handy brummte. Eine SMS von Josh: KN erholt sich nach Hundebiss. Hast ihn nicht gefunden, oder? Gehst Du morgen noch mal mit mir essen? Habe noch was Neues für die Theorie .
Ich atmete auf. «Okay, hört euch das mal an.» Ich las die SMS laut vor. «So albern es auch klingt, jetzt bin ich erleichtert. Will jemand einen Tee?»
«Wer ist denn Josh?», fragte Vi.
«Dieser Freund von mir mit der steilen Theorie zu allem. Soweit ich weiß, hat er dir auch gemailt.»
«Ach ja. Und du willst dir tatsächlich noch mehr von seiner Theorie anhören?»
«Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, ich bleibe morgen Abend daheim und stricke weiter an meiner Socke. Tee?»
Draußen rauschte das Meer, und Vi griff nach meinem Strickzeug.
«Ja, gerne», sagte sie. «Und dann erzählst du mir ein bisschen hiervon, und wir reden über interessantere Themen als Kelsey Newman.»
Als der Tee fertig war, erzählte ich, wie ich mit dem Sockenstricken angefangen hatte, und irgendwann umarmten wir uns alle und entschuldigten uns endlich richtig für das, was in Schottland geschehen war. Danach erzählten Frank und Vi mir von Sebastian und den Hunden, von Franks Plänen für die Pensionierung und Vis Ideen für ihre nächsten zwei Bücher. Das erste sollte eine Sammlung von Geschichten ohne Geschichte aus aller Welt werden, das zweite eine Sammlung von Historien ohne Historie: den Reenactments historischer Ereignisse, die sie und andere im Lauf der Jahre umgesetzt hatten und die die geschichtliche Vergangenheit in die Gegenwart versetzten. Und ich erzählte ihnen, wie ich Kelsey Newmans Bücher gelesen und wie ich Christopher verlassen hatte und in das Cottage gezogen war.
«Als Einsiedlerin leben und eine Kolumne über die eigenen Hobbys schreiben», sagte Vi. «Das gefällt mir.»
«Ja. Im Augenblick bin ich allerdings eine Einsiedlerin mit Herzschmerz. Was Beziehungen angeht, war ich irgendwie nie sonderlich erfolgreich, stimmt’s?»
«Diesmal solltest du dranbleiben», sagte Vi. «Er liebt dich.»
Ich starrte Vi an, als hätte sie mir gerade auf den Kopf zugesagt, was ich die letzten sieben Tage zum Frühstück gegessen hatte und was in jeder einzelnen meiner Hosentaschen steckte. War sie etwa tatsächlich ein Super-Wesen?
«Du weißt doch noch nicht mal, um wen es geht.»
«Doch. Er hat uns angerufen, um darüber zu reden.»
«Wann denn?»
«Letzte Woche. Es wird nicht leicht für ihn. Du musst einfach Geduld haben.»
«Im Ernst? Er hat euch davon erzählt? Und ich dachte, wenn ich irgendwem davon erzähle, kriege ich nur zu hören, dass er mich hinhält und ich mich besser von ihm fernhalten soll, vor allem, wo er auch noch viel zu alt für mich ist. Er tut mir leid, weil ich weiß, dass er als Schürzenjäger dasteht, wenn er Lise meinetwegen verlässt, oder aber als jemand, der eine wunderbare Partnerin gegen ein neueres Modell eintauscht … Ihr wisst ja selber, was die Leute über Männer sagen, die sich aus langjährigen Beziehungen lösen, um mit einer jüngeren Frau zusammen zu sein. Dabei habe ich ihre Beziehung gar nicht ins Wanken gebracht; die wankte ja schon längst. Und wenn er in der Zwischenzeit etwas mit mir anfängt, sieht es so aus, als würde er uns beide hintergehen, weil er ihr nicht die Wahrheit sagt, aber auch nicht richtig mit mir zusammen ist. Aber wenn er gar nichts tut, dann … na ja, dann
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