Das Ende der Geschichten (German Edition)
einen ständig weiter davon wegführt. Wenn man gerade glaubt, gleich da zu sein, biegt man um eine Kurve und geht plötzlich wieder fast am äußersten Rand entlang. Und währenddessen stellt man fest, dass dieser äußere Rand aus einem Ring besteht, den man niemals erreichen wird, wenn man auf dem Pfad bleibt: ein weiterer, ganz eigener Pfad, der mit nichts in Verbindung steht und nirgendwo hinführt. Erreicht man dann den Mittelpunkt, hat man das seltsame Gefühl, etwas geleistet zu haben, obwohl man doch einfach nur einem vorbereiteten Pfad gefolgt ist. In manchen Augenblicken liebt man das Labyrinth, in anderen hasst man es; man hat aber niemals das Gefühl, es bezwungen zu haben. Das wäre ja auch albern.
«Das vielleicht Spannendste an diesem Vorgang», sagte Vi in ihrer Rede, «ist die Tatsache, dass man jederzeit den Pfad verlassen und direkt zum Mittelpunkt gehen könnte. Warum tut das keiner?» Mir fiel ein, dass B. heute früh genau das getan hatte, als wollte sie uns zeigen, was wir falsch machten. Vielleicht dachte Vi ja auch daran, denn sie blickte jetzt lächelnd zu B. herüber, die, wie ich fand, mit ihrer Schleife aus dem überschüssigen roten Band ganz prächtig aussah. Vi fuhr fort: «Oder zumindest fast keiner. Dieser Pfad wurde im Voraus für uns festgelegt, doch niemand kann uns vorschreiben, was wir denken sollen, während wir ihm folgen. Es ist kein Irrgarten: Man kann sich nicht verlaufen. Man wird nicht vorsätzlich in die Irre geführt. Und es lauern auch keine Ungeheuer hinter der nächsten Ecke. Man hat das Ziel vor Augen, und doch geht man ruhig weiter darauf zu und nimmt dabei den Weg, der am wenigsten logisch ist – zumindest mathematisch gesehen. Vielleicht lehrt uns dieses Labyrinth ja, weshalb wir nicht einfach nur die letzten Seiten eines Buches lesen, weshalb wir nicht durchs Leben hetzen und nur nach Ergebnissen trachten, selbst wenn man uns ständig suggeriert, dass wir genau das tun, auf unserem Weg auch noch andere überholen und alle möglichen überkommenen Dinge überwinden sollen. Das Labyrinth sagt uns nicht, wie wir zu leben haben; es zeigt uns, wie wir tatsächlich leben. In seinem Mittelpunkt spielen sich keine großen Dramen ab, er ist einfach nur ein Ort, an dem man ein Weilchen ausruhen kann, ehe man sich wieder auf den Weg nach draußen macht. Vielleicht ist der Weg durch das Labyrinth ja der Weg der Geschichte ohne Geschichte, vielleicht ist das aber auch nur mein ganz persönliches Labyrinth. Sie alle, da bin ich sicher, werden Ihren eigenen Weg hindurch finden, auch wenn es einem unbeteiligten Beobachter, der diesen Weg noch nicht gegangen ist, so scheinen mag, als wäre diese Erfahrung objektiv gesehen für alle gleich.»
Vi hob das Stückchen roten Bands vom Mittelpunkt des Labyrinths auf, ging den Weg zurück zum Anfang und hielt es dabei die ganze Zeit in der linken Hand. Ich schaute immer wieder an ihr vorbei zum Fluss. Der Dart barg so viele unsichtbare Dinge: Überreste alter havarierter Fähren, Entwürfe für künstliche Ruinen und andere Torheiten, Liebesgaben und Manuskripte, Libbys Wagen, Tims Gewehr und womöglich sogar die Bestie, die dort um ihr Leben schwamm. Ich wartete darauf, dass irgendetwas ans Ufer gespült wurde, doch nichts geschah. Als Vi den Anfang des Labyrinths erreicht hatte, sah ich wieder zum Fluss hinüber und war mir fast sicher, dort etwas Schwarzes vorbeischwimmen zu sehen. Ich stellte mir vor, dass es hündisch und wölfisch zugleich aussah, mit aufgestellten Ohren, einer schwarzen Nase und einer rosa Zunge, und in meiner Vorstellung schwamm es aus dieser Welt hinaus und in eine andere hinein.
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DANKSAGUNG
Zahllose Menschen (und ein Hund) haben mich direkt oder indirekt bei diesem Roman unterstützt: Rod Edmond, Francesca Ashurst, Couze Venn, Sam Ashurst, Hari Ashurst-Venn, Dreamer Thomas, Simon Trewin, Francis Bickmore, Sarah Moss, Dan Mandel, Jenna Johnson, Jamie Byng, Jenny Todd, Jennie Batchelor, Karen Donaghay, Alice Furse, Vybarr Cregan-Reid, Ariane Mildenberg, David Stirrup, Abdulrazak Gurnah, Jan Montefiore, Rosanna Cox, Suzi Feay, Jon Gray, Caroline Rooney, David Herd, Donna Landry, Will Norman, Graham English, Steven Hall, Tom Boncza-Tomaszewski, Mudassar Iqbal, Laurence Goldstein, Jason Kennedy, Kirsty Crawford, Leo Hollis, Zahid Warley, Sheila Browne, Murray Edmond, Andrew Crumey, Emilie Clarke, Allen Clarke, Philip Pullman, Ian Stewart, Doug Coupland, Norah Perkins, Janine Cooke und
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