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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Bestie wäre eine echte Bestie und ich würde gar nichts zu überwinden versuchen. Ich habe ihm von meinem Buch erzählt. Und dann blitzt da plötzlich so ein Licht hinter Kelsey Newmans Kopf auf. Ein streifiges, dunkles Licht: so eine Art Grau- oder Schwarzlicht. Ich kann das auch nicht richtig beschreiben. Und dann wird mir plötzlich klar, dass die Bestie hinter Kelsey Newman steht und geifert. Ihre Umrisse waren ein bisschen verschwommen, aber ich konnte erkennen, dass sie schwarz war, mit aufgestellten Ohren und einer langen rosa Zunge. Sie wirkte ganz ruhig. Kelsey hat mich gefragt, wo ich denn hinstarre, und ich flüstere: ‹Die Bestie steht hinter Ihnen.› Kelsey fragt: ‹Was ist die Bestie? Wie sieht sie für Sie aus?› Und ich sage, er kann sie sich auch selber ansehen. Da hat er sich dann umgedreht. Als er die Bestie sah, hat er es offensichtlich mit der Angst gekriegt und mir gesagt, ich soll auf sie schießen. Erst habe ich das nicht fertiggebracht. Dann habe ich in die Luft gefeuert, um ihr Angst zu machen, aber das hat sie gar nicht gestört. Und in dem Moment hat sie angefangen zu wachsen. Dieses dunkle Licht hat sich um alles herumgeschlängelt, und ich konnte nicht mehr richtig sehen. Alles verschwamm abwechselnd und wurde wieder schärfer, und ich dachte, ich sehe schwarze Ballons am Himmel. Kelsey Newman ist den Pfad entlanggeflüchtet, doch die Bestie war inzwischen noch viel größer geworden. Sie hat einfach nur den Kopf gesenkt und ihre Reißzähne in Kelsey gehauen. Dann hat sie ihn in die Luft geworfen, und als er wieder auf dem Boden lag und sich nicht mehr wehren konnte, da hat sie ihn gefressen.»
    «Das ist ja schrecklich», sagte ich. «Ich könnte mir so was nicht ausdenken.»
    «Aber du glaubst es mir auch nicht», stellte Tim fest. «Das merke ich doch. Für dich ist das nur eine weitere Zeb-Ross-Geschichte. Du willst, dass alles ein hübsches, normales Ende nimmt. Du glaubst, Kelsey versteckt sich hier irgendwo im Gebüsch oder so was.»
    «Nein», sagte ich. «Das ist etwas völlig anderes als eine Zeb-Ross-Geschichte, weil es nämlich real ist. Ich glaube, Kelsey Newman ist verletzt, oder aber er ist einfach abgehauen. Wenn er tatsächlich geglaubt hat, etwas Beängstigendes zu sehen, ist er wahrscheinlich wirklich weggerannt. Vielleicht hat er sich auch den Knöchel verstaucht und ist jetzt in der Notaufnahme. Es gibt unendlich viele logische Erklärungen.»
    Tim zuckte die Achseln. «Du glaubst also nicht, dass die Bestie ihn verletzt hat?»
    «Nein. Das glaube ich nicht. Wenn die Bestie so angriffslustig wäre, warum hat sie dann nicht auch die Frau aus Dartmeet gefressen? Warum hat sie sich bisher nur von Hundekuchen und Kartoffeln ernährt? Ich glaube, diese Bestie ist einfach nur ein armer, verirrter Streuner, der gezwungen wird, die Hauptrolle in einer kollektiven Monsterphantasie zu spielen. Wo ist dein Gewehr?»
    «Hab ich in den Fluss geworfen.»
    «Das stimmt», warf Frank ein. «Das haben wir gesehen.»
    «Eigentlich wollte ich ja sowieso kein Gewehr mitnehmen», sagte Tim. «Ich könnte doch nie irgendwen oder irgendwas erschießen.»
    Vi tätschelte ihm die Schulter.
    «Ich bin nicht gewalttätig», beteuerte Tim. «Vielleicht bin ich ja auch nur ein verirrter Streuner. Ich habe doch nichts Schlimmes getan. Ich saß nur da und konnte meinen Augen nicht trauen.»
    Einen Augenblick lang sagte niemand etwas.
    «Was ist denn aus der Bestie geworden?», fragte ich dann. «Nachdem sie Kelsey Newman angeblich gefressen hat?»
    «Sie ist wieder kleiner geworden. Normal groß. Und das ganze Geblinke hat auch aufgehört. Sie hat mich angesehen, als täte es ihr leid oder als würde sie sich schämen, und dann ist sie einfach in den Fluss gesprungen und weggeschwommen. Das braucht ihr mir aber auch nicht zu glauben. Glaubt doch, was ihr wollt. Es tut mir so leid, dass du extra herkommen musstest, und es tut mir so leid wegen dem Buch und …» Tim brach in Tränen aus. «Ich weiß doch auch nicht, was mit mir los ist. Das ist alles so merkwürdig. Wahrscheinlich habe ich es mir tatsächlich nur eingebildet. Aber wo ist Kelsey Newman dann hin?»
    «Sie sind nur müde», sagte Vi zu ihm. «Sie haben zu viel Zeit allein auf dem Moor verbracht. Ich finde, wir sollten Sie jetzt nach Totnes zurückbringen und Ihnen ein warmes Bett für die Nacht suchen.»
    «Aber wo ist er hin?», wiederholte Tim.
    ***
    «Jedenfalls ist er nicht zu seinem Vortrag im Birdwood House erschienen»,

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