Das Ende der Geschichten (German Edition)
gibt er doch gewissermaßen das Leben auf. Und selbst diese Option, die objektiv gesehen am wenigsten falsch wäre, ist Lise gegenüber nicht fair, die doch sicher auch will, dass ihr Partner sie liebt und nicht einfach nur aus Pflichtgefühl bei ihr bleibt.»
«Das weiß er alles», sagte Frank. «Und er arbeitet daran.»
«Manchmal würde ich mir wünschen, das Leben wäre etwas mehr wie eine Geschichte ohne Geschichte», bemerkte ich.
«Das verstehe ich», sagte Vi. «Aber in mancher Hinsicht ist es das ja auch. Wenn es zu viel wird, muss man die Handlung manchmal einfach laufen lassen. Und etwas anderes tun.»
«Wenn er wenigstens mal anrufen würde oder so was.»
«Das wird er schon tun, wenn er etwas zu sagen hat.»
«Warum schreibt er mir nicht einfach einen Liebesbrief?»
«Weil das nicht ehrlich wäre. Nicht, weil er dich nicht lieben würde, sondern weil er weiß, dass er nichts Konkretes dafür tut. In all den Jahren, die wir Rowan jetzt kennen, hat er nicht ein einziges Mal gelogen.»
«Aber Lise gegenüber lügt er doch sicher die ganze Zeit.»
Frank zuckte die Achseln. «Möglich. Oder er sagt einfach gar nichts.»
«Hab Geduld», riet Vi. «Es wird sich alles finden.»
«Eine Freundin von mir ist in einer ganz ähnlichen Situation», sagte ich. «Sie kann sich einfach nicht entscheiden, ob sie ihren Mann für einen anderen verlassen soll. Aber wahrscheinlich ist das doch nicht dieselbe Situation.» Ich dachte noch ein bisschen darüber nach. «Nein. Es ist beides auf unterschiedliche Weise kompliziert. Aber sie schafft es auch nicht zu handeln.»
Seit meinem letzten Treffen mit Libby in der Woche zuvor hatte ich nichts mehr von ihr gehört, was ich dahingehend interpretierte, dass sie Bob vermutlich nicht verlassen hatte.
«Wart’s einfach ab», meinte Frank.
«Das muss ich wohl. Am besten stricke ich einfach noch eine Socke und warte auf den Frühling.»
***
Das Labyrinth war wunderschön: ein schlichtes Muster aus hellen Steinen und ringsherum Bänke aus dem gleichen Material, die so platziert waren, dass man von jeder sowohl das Labyrinth als auch den Fluss sehen konnte. Zwischen zwei Bänken stand der Maulbeerbaum. Die kleinen Propeller waren verschwunden; an ihrer Stelle wuchsen jetzt erste Ansätze von Knospen heran. Vi, Frank und ich waren um sechs Uhr aufgestanden, um einmal durch das Labyrinth zu gehen und zu wissen, wie sich das anfühlte, damit Vi anschließend ihre Rede schreiben konnte. B. war auch mitgekommen und saß mit erstaunter Miene daneben, während wir nacheinander den schmalen Weg vom Rand bis in die Mitte entlangwanderten und über Kingswear die Sonne aufging. Vi ging als Erste, danach Frank und zum Schluss ich. Anschließend hockten wir alle nebeneinander auf einer Bank und schwiegen. Gegen sieben schaute Vi auf die Uhr, und kurze Zeit später kam Rowan in seinem Dufflecoat das morgensonnenhelle Ufer entlang. Auch er folgte dem Labyrinth, sehr viel langsamer als wir anderen, und anschließend gingen wir alle frühstücken.
***
Josh und Peter erschienen zur Eröffnung, so wie alle, mit denen man rechnen konnte: die alte Mary, Reg, Libby und Bob und alle anderen, die ich jemals im Three Ships oder sonst irgendwo in der Stadt gesehen hatte. Sogar Andrew war aus Torcross gekommen. Josh hatte seine Aktentasche dabei, und ich versprach ihm, ihn später bei einem Drink richtig mit Vi bekannt zu machen. Um zwölf begann die Eröffnungszeremonie, und Vi schritt noch einmal durch das Labyrinth, schweigend und bedächtig, während ihr alle dabei zusahen. Ursprünglich hatte der Stadtrat den Plan gehabt, sie solle ein Band entzweischneiden, doch dann konnte man sich nicht einig werden, wo man an einem solchen Labyrinth denn ein Band befestigen sollte. Und so hatte man schließlich improvisiert und war Vis Vorschlag gefolgt, einfach nur ein kleines Stück roten Bands in den hellen Kreis in der Mitte zu legen. Nachdem ich bereits selbst durch das Labyrinth gegangen war, konnte ich mir in etwa vorstellen, was Vi dachte, obwohl ich mir da natürlich nie sicher sein konnte. Ich war ganz überrascht – als wir beim Frühstück darüber sprachen, stellten wir fest, uns allen war es so gegangen –, dass man auf so einem kurzen Weg Hoffnung, Frustration, Langeweile, Aufregung und zwischendurch auch gar nichts empfinden konnte und sich das von einem Schritt zum nächsten veränderte. Man weiß, dass man den Mittelpunkt erreichen will, und merkt gleichzeitig, dass das Labyrinth
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