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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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zu wollen, dass alles in Ordnung ist?»
    «Die meiste Zeit ist aber doch eh so gut wie gar nichts in Ordnung», entgegnete Vi. «Und zwar auf ganz vielfältige, komplizierte Weise. Wir reden uns immer nur ein, es wäre anders. Das müssen wir uns um jeden Preis einreden. Aber wie viele der sechs Milliarden Menschen auf der Welt sind denn tatsächlich glücklich und führen ein rundum sinnerfülltes Leben? Nicht einer, würde ich mal vermuten.»
    «Wahrscheinlich nicht.» Noch während ich das sagte, musste ich an mein Gespräch mit Rowan denken, an all meine Kämpfe mit Handlungsstrukturen und Schlüssen und Schablonen und an den Streit mit Vi in Schottland. «Ich wünschte ja selber, ich müsste nicht ständig versuchen, mir alles rational zu erklären. Weißt du, ganz tief drinnen will ich eigentlich gar nicht alles verstehen. Du hattest völlig recht mit dem, was du in Schottland gesagt hast. Aber ich kann einfach nicht anders.»
    «Hör einfach auf damit», sagte Vi. «Lass es laufen. Was spricht dagegen?»
    «Bei Tim haben wir es doch auch nicht einfach laufen lassen. Wir haben ihm geholfen.»
    «Ihm konnten wir aber auch helfen. Er war ja da.»
    «Und was ist mit Kelsey Newman? Auch wenn er nicht da war …»
    «Vielleicht haben wir ihn uns alle nur eingebildet», meinte Frank erneut mit einem merkwürdigen Lächeln.
    Und so abwegig es mir auch schien – ich dachte darüber nach. Was würde passieren, wenn man Kelsey Newman aus der Welt herausnahm? Fürs Erste würde mein ganzes Leben der letzten Zeit auseinanderfallen.
    «Na gut, nehmen wir mal an, es gab ihn wirklich», sagte ich. «Vielleicht war er dann ja unsterblich und hat uns hier in der Zweitwelt – oder was für eine Welt das hier auch immer ist – nur einen Besuch abgestattet. Vielleicht hat die Bestie ihn ja gefressen, weil er einfach nicht hierhergehört.» Ich klappte mein Notebook wieder zu, ging zum Kamin und legte ein weiteres Holzscheit ins Feuer. «Oder noch ein anderes nicht-rationales Erklärungsmodell. Laut einem Freund von mir komme ich einem sogenannten Elementargeist recht nahe, so etwas wie einem der Bilder auf den Tarotkarten, und verfüge deshalb über Zauberkräfte. Vor langer Zeit bin ich einmal jemandem begegnet, der echte Zauberkräfte besaß – einem weiteren dieser … nennen wir sie einmal Super-Wesen. Nehmen wir weiter an, ihr zwei seid auch Super-Wesen; ich meine, wenn ich eins bin, müsst ihr auch welche sein. Jedenfalls hat mir dieses allererste Super-Wesen, dem ich begegnet bin, erklärt, wenn ich meine Zauberkräfte nicht in die richtige Richtung lenke, würde ich Ungeheuer freisetzen. Vor ein paar Wochen habe ich mehr oder weniger aus Versehen eine ganze Reihe Dinge beim Universum bestellt. Es liegt also auf der Hand, dass ich die Bestie dadurch erschaffen habe, und du, Vi, hast sie wieder vertrieben, weil du eben ein noch mächtigerer Geist bist als ich. Seht ihr? Das erklärt alles oder zumindest fast alles. Und wer interessiert sich noch für Kelsey Newman, wo wir doch alle Super-Wesen sind? Er ist wahrscheinlich selber eines. Wir sind sowieso alle unsterblich, in etwa so, wie Kelsey Newman gesagt hat – da spielt es gar keine große Rolle, wenn man mal von einer Bestie gefressen wird.»
    Ich lachte, doch Frank hatte aufgehört, auf der Gitarre zu klimpern, und Vi tätschelte mir den Arm.
    «Das klingt ja toll mit diesen Superkräften», meinte sie. «Aber du musst schon vorsichtig mit ihnen umgehen. Wahrscheinlich habe ich dir schon erzählt, dass die meisten der Schamanen und Heiler, denen ich bisher begegnet bin, zwar großes Wissen, aber keine Zauberkräfte besaßen. Hin und wieder findet man aber einen, der zu mehr in der Lage ist. Das sind dann immer die mit den größten praktischen Kenntnissen und dem größten Vorrat an Arzneien, weil sie nämlich wissen, wie leicht so ein Zauber schiefgehen kann.»
    Ich lachte wieder. «Schon gut. Das war ja nur Spaß. Ich glaube doch gar nicht an solche Sachen. Ich wollte nur versuchen, nicht rational zu sein.»
    «Für mich hört sich das an, als wären die Vorstellungen deines Freundes hochgradig rational», sagte Vi. «Viel zu rational sogar. Aber das liegt sicher daran, dass sie in der Sprache dieser Welt und mit den Konzepten dieser Welt entwickelt wurden.»
    Vi nahm sich noch eine Flasche Beast aus der Kiste, ich tat es ihr gleich. Dann wurde mir klar, dass wir alle schon ziemlich betrunken waren. Vermutlich war B. die Einzige im Raum, die noch zu

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