Das Ende der Geschichten (German Edition)
der Gedanke, zaubern zu können, gleich gar nicht mehr so verlockend. Und ich wollte auch keine Zauberwesen verärgern, die in irgendeiner Unterwelt wohnten. Aber was, wenn ich einmal zu tun vergaß, was ich versprochen hatte, und sie mich mitten in der Nacht holen kamen?
«Außerdem musst du wissen», fuhr Ruprecht fort, «dass alles, was du tust, dreimal zu dir zurückkehrt. Mit anderen Worten: Was immer du zauberst, bekommst du verdreifacht zurück. Und das Dumme ist, dass man manchmal nicht genau weiß, ob man etwas Gutes oder etwas Böses tut. Die Definitionen von Gut und Böse sind in der Zauberkunst nicht ganz eindeutig, man kann sich immer wieder irren. Es ist eine verzwickte Angelegenheit. Wenn man nicht aufpasst, erschafft man Ungeheuer. Setzt man eine große Menge Energie ein, schafft es dann aber nicht, sie in die richtige Richtung zu lenken, hat man im Handumdrehen Geister, Ghule und andere Zauberwesen freigesetzt. Das ist immer äußerst unangenehm, weil dann jemand mit größerer Macht eingreifen und alles wieder einrenken muss.»
Draußen rief eine Eule, und mein Magen fühlte sich plötzlich an wie ein kaltes, feuchtes Küchentuch, das am späten Sonntagabend ausgewrungen wird. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah, dass die Abenddämmerung bereits eingesetzt hatte. Sie kam jeden Tag ein bisschen früher. «Ich glaube, ich muss jetzt heim», sagte ich.
Ruprecht lachte. «Oje. Jetzt habe ich dir Angst gemacht. Aber du bist wohl ohnehin noch zu jung. Trotzdem sehe ich dir an, dass du die Fähigkeit dazu hast. Vielleicht, wenn du ein bisschen älter bist. Kommst du bald wieder einmal in den Ferien hierher? Bethany würde dich gern wiedersehen.»
«Ich weiß es nicht», sagte ich.
«Nun, komm auf jeden Fall vorbei, falls du wieder einmal in der Gegend bist.»
Er stopfte sich seine Pfeife.
«Sagst du mir noch meine Zukunft voraus, bevor ich gehe?», fragte ich. Mir war plötzlich nach Heulen zumute. «Du hast es mir doch versprochen.» Meine Ferien waren zu Ende, meine Tage im Wald vorbei, und ich war auch noch zu feige gewesen, zaubern zu lernen. Am liebsten hätte ich mich noch einmal umentschieden, aber ich wusste, dass es zu spät war. Und ich war mir auch sicher, dass wir nicht noch einmal hier Ferien machen würden. Meine Mutter hatte die ganze Zeit darüber gemeckert, wie feucht das Haus sei, und mein Vater fand es zu abgelegen. Ich spürte, dass ich Ruprecht und Bethany und die Art, wie sie ihr Leben lebten, vermissen würde.
Ruprecht stand immer noch am Spülbecken. Er legte die Pfeife beiseite, drehte sich um und sah eine gute Minute lang aus dem Fenster. Als er sich wieder zu mir umdrehte, waren seine Augen beängstigend hellgrün, und seine Miene hatte sich völlig verändert. Vorher hatte er immer ausgesehen wie ein weiser, alter Baum, doch jetzt wirkte sein Gesicht zerklüftet, wie Felsen, die von einem stürmischen Meer umspült werden. Er schien in eine Art Trance gefallen zu sein.
«Du wirst die Dinge, die du anfängst, nie zu Ende bringen», sagte er mit einer Stimme, die seiner kaum noch glich. «Du wirst es nicht schaffen, das Monster zu besiegen. Und am Ende stehst du vor dem Nichts.»
***
Es würde ein Tag wie jeder andere werden, das wusste ich. Nur hatte er wegen der Schlange vor der Fähre bereits etwas zu spät angefangen. Auch sonst wurde es meistens nach zehn, bis ich meinen Spaziergang mit B. gemacht und Torbay mit dem Wagen durchquert hatte, doch heute ging es bereits auf elf zu, und ich war immer noch unterwegs. An und für sich konnte man das als gutes Zeichen werten: Manchmal überhitzte der Kühler nämlich, und ich musste anhalten und Kühlerdichtungsmittel nachfüllen – ich nahm das von Radweld –, was meine Verspätung nur noch vergrößerte. Meistens schaffte ich vor der Mittagspause nur eine gute Stunde Arbeit, manchmal, wenn ich viele Mails zu lesen hatte, auch weniger. Der Nachmittag begann dann erst nach zwei, und wenn ich endlich mit dem fertig war, was ich vor dem Mittagessen begonnen hatte, und noch etwas Verwaltungskram für Orb Books erledigt hatte, war es schon wieder Zeit, einkaufen zu gehen und nach Hause zu fahren. Wie sollte ich einen Roman schreiben, wenn mir einfach keine Zeit dafür blieb? Dabei konnte es doch auch anders sein. Bei all meinen fertigen Büchern war praktisch überall Zeit erblüht, wenn ich einmal über die Hälfte hinaus war, selbst in den finstersten Winkeln. Morgens schrieb ich noch vor dem Spaziergang mit B. die
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