Das Ende der Geschichten (German Edition)
ersten fünfhundert Wörter am Küchentisch und machte mir beim Mittagessen wie wild Notizen. Manchmal tippte ich sogar noch in der Kassenschlange im Supermarkt auf der winzigen Tastatur meines Handys herum. Einmal hatte ich siebentausend Wörter an einem Tag geschrieben. Aber heute würde ich sicher nicht viel an meinem Roman getan kriegen, zumal mir ja noch die Rezension bevorstand.
Die Landschaft ringsum erstrahlte viel zu hell im kalten Februarsonnenlicht, während ich mit leise gestelltem Radio durch Torbay kurvte und mir überlegte, wie ich mit der Rezension anfangen sollte. Oscar war immer begeistert, wenn ich ein Buch verriss, und ich hatte ihn im Verdacht, mir absichtlich Bücher zu schicken, von denen er wusste, dass sie mir nicht gefallen würden. Schon allein deshalb war ich fest entschlossen, bei der Wissenschaft vom ewigen Leben so richtig in die Vollen zu gehen. Ich wusste nur noch nicht, wie. Das Werk schien für Kritiker ein leichtes Ziel zu sein. Ich erwog einen Einstieg Richtung: Treuen Lesern dürfte klar sein, dass man mir mit einem Thema wie der Ewigkeit gar nicht erst kommen sollte. Aber das war natürlich viel zu arrogant. Ich schrieb zwar schon so lange für die Zeitung, dass ich mir eine persönliche Perspektive bei meinen Rezensionen durchaus leisten konnte, aber es hatte doch alles seine Grenzen. Vielleicht konnte ich ja darauf abheben, dass es erfahrungsgemäß immer in der Katastrophe endete, wenn Menschen versuchten, der Natur ins Handwerk zu pfuschen, und es folglich noch ewig viel schlimmere Folgen haben musste, wenn man der Ewigkeit ins Handwerk pfuschte. Dann war da natürlich noch Tennysons Gedicht über Tithonus, den Geliebten der Eos, der griechischen Göttin der Morgenröte. Tithonus empfängt die Gabe der Unsterblichkeit, damit er Eos ewig lieben kann, doch dummerweise wurde bei dem Arrangement vergessen, ihn auch mit ewiger Jugend auszustatten. Nun ist er also dazu verdammt, auf ewig zu altern und zu verfallen. Die ersten Zeilen des Gedichts lauten: Der Hain verwelkt, der Hain verwelkt und dorrt/Die Dünste weinen ihre Last zur Erde,/Der Mensch bestellt das Feld und sinkt ins Grab,/Nach manches Sommers Freude stirbt der Schwan./Nur mich verzehrt grausam Unsterblichkeit:/Ich welk’ in deinen Armen langsam hin. Vielleicht konnte ich meine Rezension ja damit beginnen. Aber irgendwie fühlte sich das auch nicht richtig an.
In Newmans unendlichem Universum hätte ich die Zeit, eine endlose Anzahl Romane zu schreiben, dazu noch alle jemals angefangenen Bücher zu Ende zu lesen sowie alle niemals angefangenen. Aber würde sich dann überhaupt noch jemand für Literatur interessieren? Wir brauchen Literatur doch nur, weil wir sterben müssen. Die Nachrichten fingen an, und ich drehte das Radio lauter. Eine neue Studie enthüllte, dass Prozac, ein Antidepressivum, das von etwa vierzig Millionen Menschen eingenommen wurde, darunter auch mein Bruder Toby, eigentlich immer schon eine reine Placebo-Wirkung habe. Als ich, das Meer rechts von mir, am Schifffahrtsmuseum vorbeifuhr, musste ich wieder an Rowan denken. Ich welk’ in deinen Armen langsam hin . Selbst wenn wir beide ungebunden wären, würde er doch immer noch zu alt für mich sein. Gut, dass wir gar nicht erst angefangen hatten, uns E-Mails zu schreiben. Aber vielleicht wartete ja heute eine Mail auf mich; ich hatte ihm schließlich gesagt, er könne sich jederzeit melden. Was würde ich dann tun? Ich konnte ihn keinesfalls noch einmal küssen, weil ich dann nicht mehr fähig sein würde, es dabei zu belassen. Und eine Zeit wie die nach dem ersten Kuss würde ich auch nicht noch einmal durchstehen.
Mit einem recycelten Parkschein aus der Woche zuvor stellte ich meinen Wagen ab und verbrachte anschließend den Rest des Vormittags damit, an dem Tisch, der in der Bibliothek mein Stammplatz geworden war, meine Rezension zu schreiben. Früher war es Rowans Stammplatz gewesen, und ich hatte ihn übernommen. Oscar hatte meist nur Platz für achthundert Wörter, und oft kam es durch die Werbeanzeigen noch zu weiteren Kürzungen. Seine Assistentin Justine widmete den Großteil ihrer Zeit der Suche nach billigen Abbildungen, die zu den Rezensionen passten. Im Jahr zuvor hatte ich einmal ein Buch rezensiert, dessen Autorin versuchte, die Raumdimensionen mit Hilfe eines geschnittenen Schinkens zu erklären. Der Schinken, behauptete sie, habe drei, die Scheibe hingegen zwei Dimensionen. Das brachte mich auf die Palme. Es gibt einfach
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