Das Ende der Geschichten (German Edition)
«Und wenn du Glück hast, zeige ich dir später, wie man zaubert, und sage dir die Zukunft voraus.» Er zwinkerte mir zu. Nachdem ich mehrere Sträuße weißer Blumen festgehalten hatte, damit er die Stiele zurechtschneiden konnte, schickte er mich los, um noch Verzierung für die Gebinde sammeln zu gehen. Ich wusste nicht, was er meinte, und machte wohl ein recht verwirrtes Gesicht, denn er ergänzte: «Einfach ein bisschen Grünzeug. Na los … Husch, husch, sonst wirkt der Zauber nicht.»
Als wir fertig waren, fragte ich ihn: «Zeigst du mir jetzt, wie man zaubert?»
Er lachte. «Das habe ich doch gerade schon getan.»
«Oh», sagte ich enttäuscht. Es schien sich nichts verändert zu haben.
«Also gut», meinte er. «Pass mal auf.»
Er zog eine Streichholzschachtel aus der Tasche und legte sie auf den kleinen Holztisch. Dann setzte er sich in den einen Schaukelstuhl und starrte die Schachtel an – und plötzlich erhob sie sich einfach in die Luft. Ich keuchte auf, und die Schachtel fiel leise klappernd wieder herunter.
«War das jetzt echt gezaubert?», fragte ich.
«Ja», antwortete er lächelnd. «Ich denke schon.»
«Bringst du mir bei, wie man das macht?»
«Vielleicht.»
«Und was ist mit meiner Zukunft?»
Er musterte mich ernst. «Es ist gar nicht immer gut, wenn man den Leuten ihre Zukunft voraussagt.»
«Aber du hast es mir doch versprochen», erwiderte ich.
Er seufzte. «Komm morgen wieder, wenn du magst. Aber du solltest deinen Eltern besser Bescheid sagen, wo du bist.» Dann sagte er, er heiße Ruprecht – «wie das gleichnamige Kraut» –, und wenn ich zaubern lernen oder meine Zukunft begreifen wolle, müsse ich mir erst noch ein paar andere Dinge aneignen. Er habe eine Freundin namens Bethany, die morgen auch da sein werde, aber sehr scheu sei und nicht allzu sehr gestört werden dürfe. Er warnte mich, sie sei so scheu, dass ich sie womöglich gar nicht zu Gesicht bekommen würde; doch da sein werde sie mit Sicherheit.
Gleich am nächsten Morgen kehrte ich zu dem seltsamen kleinen Haus zurück. Dort traf ich auf eine schöne junge Frau in einem langen, weinroten Kleid, die ich von jenem Tag an häufig dort vorfand. Sie schien Roberts Frau zu sein, doch es gab auch Momente, da glaubte ich, sie wäre seine Tochter oder sogar seine Enkelin. Vormittags saß sie meist irgendwo und spielte Flöte, und wenn Markttag war, packte sie nachmittags all ihre Habseligkeiten in einen Beutel mit Kordelzug und machte sich auf den Weg in die Stadt.
Das «Wasserrad» war das Erste, was ich von Ruprecht lernte. Wir saßen zusammen in der Laube, und Bethany war drinnen im Haus und spielte eine Melodie, die wie halbfertiges Vogelgezwitscher klang. «So musst du atmen», wies er mich an, «wenn du dich konzentrieren willst oder wenn du Angst hast. Oder auch …» – er lächelte –, «… wenn du zaubern willst.» Wie man zauberte, zeigte er mir allerdings nicht.
Danach verlief jeder noch verbliebene Ferientag nach demselben Muster. Ich kam frühmorgens zum Haus, und Ruprecht gab mir irgendeine Aufgabe, beispielsweise den Holzschuppen aufräumen oder die Vogelhäuschen füllen, denn Bethany, so sagte er, sehe die Vögel so gern, und wenn wir sie fütterten, mache das auch «die anderen Feen» glücklich. An einem Tag setzten wir Blumenzwiebeln im Garten: Schachbrettblumen, Iris und Traubenhyazinthen. Anderntags legten wir Walnüsse ein. Einmal ging ich auch mit Bethany Brombeeren, Weißdornbeeren und Hagebutten sammeln. Es war das erste Mal, dass ich mit ihr allein war. Sie sprach nicht viel, doch irgendwann lächelte sie mich an und sagte: «Ruprecht ist ja ganz vernarrt in dich. Er glaubt wohl, du bist eine von uns.» Dann sprang sie weiter zum nächsten Busch und ließ kein weiteres Wort mehr hören. Später kochten wir gemeinsam Marmelade.
An meinem letzten Ferientag bat ich Ruprecht, ob er mir nicht «bittebitte» doch ein «klitzekleines bisschen zaubern» beibringen könne, weil ich doch von nun an nicht mehr kommen würde. Er stand gerade am Spülbecken, seufzte tief und fragte dann: «Bist du denn auch sicher, dass du das lernen willst?»
«Ja», erwiderte ich.
Bethany war noch in der Stadt. Ich saß an dem großen Kiefernholztisch in der Küche und pellte Erbsen für sie. Von der Decke hingen Kupfertöpfe, Bratpfannen und Backbleche herab, neben der Hintertür lehnte eine Axt an der Wand. Ich hatte an diesem Tisch schon so viele kleine Arbeiten erledigt und mich an den Anblick
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