Das Ende der Geschichten (German Edition)
dann wird dir wieder wärmer.»
Achselzuckend ging ich zu ihm hinüber. Er zeigte mir ein paar Bewegungen, die allesamt viel zu raffiniert waren, als dass ich sie ganz erfassen konnte. Eine Zeit lang machte ich ihm alles nach, wärmer wurde mir davon allerdings auch nicht, und so ging ich stattdessen dazu über, auf der Stelle zu hüpfen und ihm weiter zuzusehen.
«Mit der hier habe ich ziemlich zu kämpfen», sagte er und machte eine Folge fließender Bewegungen. «Sie heißt ‹Den Tiger zum Berg tragen›.»
Ich musste lächeln und hörte auf zu hüpfen. «Das ist aber ein schöner Name. Für mich sieht das ganz gut aus.»
«Du kämpfst zurzeit auch ziemlich, hm? Vi hat so was gesagt.»
Vi planschte inzwischen nicht mehr ganz so hektisch im Wasser herum. Sie kreischte auch nicht mehr, sondern schwamm ruhig in Richtung Leuchtturm. In ihren Bewegungen lag eine Energie, über die ich offenbar nicht verfügte. Ich kämpfte ja nicht einmal. Das schien mir auch überhaupt keinen Sinn zu haben. Wogegen sollte ich schließlich kämpfen? Gegen Christopher? Meine Mutter? Orb Books? Meinen Roman? Mich selbst? Ob ich wohl für Rowan kämpfen würde, einen Mann, der zu alt für mich war und mich außerdem gar nicht wollte?
«Ich bin eher ein bisschen depressiv. Aber das wird schon wieder.»
«Du weißt ja, wir sind immer für dich da. Komm doch eine Zeit lang zu uns nach London, wenn du magst.»
«Danke. Vielleicht mache ich das ja», erwiderte ich, obwohl ich ganz genau wusste, dass ich mir weder die Zugkarte leisten noch Christopher erklären könnte, was ich denn in London wollte.
«Irgendwann hat mir Vi einmal erzählt, dass das Meer einen niemals im Stich lässt, wenn man es um Hilfe bittet. Ich habe das ein paar Mal ausprobiert. Man fühlt sich tatsächlich besser. Entweder man bittet das Meer einfach um Hilfe und wartet ab, was passiert, oder aber man gibt ihm alle Probleme, die man hat. Es ist ja schließlich groß genug, um das zu verkraften. Man sucht sich ein paar große Steine, lässt jeden für ein Problem stehen und wirft ihn dann ins Wasser.» Er zuckte die Achseln. «Das klingt dir sicher viel zu hippiemäßig. Ich weiß, du bist da sehr viel nüchterner als wir – aber manchmal braucht man einfach Hilfsmittel, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und loszulassen.»
«Danke, Frank. Im Moment wäre mir das irgendwie zu peinlich, aber wenn es schlimmer wird, denke ich ganz sicher darüber nach. Wenn ich wieder zu Hause bin, fahre ich nach Slapton Sands. Da gibt es viele große Steine.»
***
Am letzten Abend in Schottland gaben wir uns alle mit Schlehenschnaps die Kante. Irgendwann fingen Claudia und ich an, von den absurdesten Zeb-Ross-Geschichten zu erzählen, die wir je abgelehnt hatten, darunter auch eine, die aus der Perspektive einer Katze erzählt werden sollte, und ein Roman, in dem sich eine der Figuren als Verkörperung Buddhas entpuppt.
«Wie ging nochmal diese völlig schräge Zen-Geschichte aus dem Manuskript?», fragte mich Claudia.
«Das waren einige», sagte ich.
«Die mit der alten Psychopathin, die dem Mönch die Hütte abfackelt.»
«Ach ja», sagte ich. «Das macht es schon überschaubarer. Wie war das noch gleich?»
«Ich kenne eine mit einer alten Frau, die sich um einen Mönch kümmert, während er zwanzig Jahre lang durchmeditiert», meldete sich Vi zu Wort. «Ist das die Geschichte? Sie bringt ihm Essen und Wasser, macht ihm die Wäsche, und irgendwann schickt sie ihm eine Hure vorbei, die sich ihm an den Hals werfen soll, weil sie sehen will, was ihm all seine Weisheit in dieser Lage nützt. Er hat natürlich ein Keuschheitsgelübde abgelegt – aber wird er nicht trotzdem in Versuchung geraten? Der Mönch erzählt der Hure etwas Poetisches von einem alten Baum, der auf einem kalten Felsen wächst, und sagt ihr, sie werde bei ihm ‹keine Wärme› finden. Als die Verschmähte der alten Frau davon erzählt, wird die fuchsteufelswild, weil sie sich um einen Mann gekümmert hat, der nach zwanzig Jahren immer noch kein Mitgefühl erlernt hat. Und daraufhin brennt sie seine Hütte nieder.»
«Genau», sagte Claudia. «Die fand ich schrecklich.»
«Warum denn?», fragte ich. «Mir hat sie gefallen.»
«Aber man lernt doch nichts Brauchbares daraus», gab sie zurück. «Wir erfahren nur, dass diese verrückte alte Schachtel, die den armen Mönch in ihren Fängen hat, gewalttätig wird, als sie feststellt, dass er nicht genau so ist, wie sie ihn haben will. Im
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